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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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hielten sie nichts. Die ständigen Richtungsänderungen und Ungereimtheiten der »Linie« ließen sie völlig kalt. Der Pakt zwischen den Nazis und der Sowjetunion war für sie unfassbar. Sie konnten nicht verstehen, warum die Kommunisten die Labour Party – Sozialisten wie sie selbst – schmähten. Behauptungen, dass es bei diesem Krieg »um die Demokratie« gehe, hörten sie sich mit einem höflichen Lächeln an, manchmal seufzten sie dabei und schüttelten den Kopf. Wenn wir sie hartnäckig bedrängten, sagten sie, sie würden einfach nicht einsehen, dass die Nazis die von ihnen eroberten Völker auch nur im Geringsten schlimmer behandelten, als die Eingeborenen hier in Südrhodesien behandelt würden.
    Charles Mzingele wird heute als eine Art Onkel Tom betrachtet, und das von Leuten, die immer, ihr ganzes Leben lang, mit jeweils vorherrschenden Meinungen konform gingen und die nie, aber auch wirklich nie für das gelitten haben, was sie dachten. (Nebenbei bemerkt, war Onkel Tom eine ziemlich bewundernswerte Figur und überhaupt kein Onkel Tom, aber lassen wir das jetzt.) Ach, Charles Mzingele! – Heutzutage spottet man über ihn. Charles hatte sich seinen eigenen Weg erdacht, wie er die Weißen bekämpfen konnte, und das zu einer Zeit, in der es zwar eine mürrische oder wütende Opposition gab, aber nur sehr wenig Information. Von sich aus, und oft genug ganz auf sich allein gestellt, schrieb er aufklärerische Briefe und feuerte in einem fort Breitseiten gegen Zeitungen, Parlamentsmitglieder und Regierungskommissionen ab, um sie zu beeinflussen. Zu der Zeit, als wir ihn kennenlernten, war er mittleren Alters, müde und unglücklich, weil er, katholisch, ein frommer Mensch und eifriger Kirchgänger, von einigen Priestern zu Hause besucht worden war, die ihm mitteilten, dass man ihn exkommunizieren werde, wenn er weiterhin auf die Gründung einer Gewerkschaft hinarbeite. Es gab schon eine Vereinigung der Büroangestellten, aber er träumte von einer Gewerkschaft der Minenarbeiter. Mit seinen Büroangestellten hatte er kein besonderes Glück, denn die Laufburschen und Botenjungen zählten zur Elite – sie wurden besser bezahlt als die meisten anderen und hatten keine Lust, ihre Posten durch aufwieglerische Aktivitäten aufs Spiel zu setzen.
    Wenn Charles oder ein, zwei von seinen Freunden zu einem Treffen kamen, schoben wir alles beiseite, was sonst auf der Tagesordnung stand, und unterhielten uns vorrangig über ihre Interessen. Sie kamen in das Büro des Left Club oder in welchem Büro wir uns sonst gerade trafen, weil Charles vom CID beschattet wurde und zu jener Zeit niemand von uns eine Wohnung oder ein Haus hatte, wohin man Schwarze hätte einladen können. Solche Treffen waren nicht ganz einfach. Der afrikanische Begriff von Zeit bedeutete, dass es keinen Sinn hatte, die Verabredung auf sechs Uhr festzulegen und zu erwarten, dass er dann auch da sein würde. Wenn wir vier Uhr sagten und eigentlich sechs Uhr meinten, konnte es passieren, dass er um sechs kam oder aber – entgegen aller Erwartung – schon um vier. Außerdem war da noch die Ausgangssperre. Alle Schwarzen, die nicht in der Stadt wohnten, mussten bis neun Uhr in der Schwarzensiedlung sein, die ein gutes Stück außerhalb der weißen Stadt lag. Charles fuhr mit einem Fahrrad und hatte immer Angst, dass man es ihm stehlen würde – was schon mehr als einmal passiert war. Deshalb musste es immer die Treppe hoch mit ins Büro. Im Scherz schlugen wir vor, dass man Charles’ Fahrrad das Stimmrecht gewähren solle. Manchmal standen Charles und sein Freund mitten in einer Unterhaltung oder einem Streitgespräch plötzlich auf, weil sie die Zeit im Auge behalten mussten, entschuldigten sich und machten sich in ihrer charakteristischen Art und Weise auf den Weg, lächelnd, geduldig, aber unbeugsam. Sobald sie gegangen waren, bekamen wir entweder einen Wutanfall vor Frustration, weil wir die Welt, zu der wir gehörten, so sehr hassten, oder wir saßen, deprimiert über unsere Machtlosigkeit, stumm da und hatten kaum den Mut, uns gegenseitig anzusehen. Wir wussten, dass sich diese Männer voneinander trennen würden, sobald sie die Grenze zur Schwarzensiedlung erreicht hatten. Dann würden sie vorsichtig zu sich nach Hause gehen, wo sie alle Bücher und Zeitschriften, die wir ihnen mitgegeben hatten, sorgfältig vor der Siedlungspolizei versteckten. Diese Siedlungspolizei gehörte zu einer besonders ekelhaften Kategorie von schwarzen

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