Unter der Haut (German Edition)
unterschied sich von den anderen nur durch seine längliche, in viele Zimmer unterteilte Form. Das Foto der ersten Klinik von Mutter Patrick und ihren Krankenschwestern (jenen Dominikanerinnen, die als erste Frauen in die Kolonie kamen) aus den frühen Neunzigern des letzten Jahrhunderts könnte beinahe ein Bild von unserem Haus sein, ehe die Veranden und Terrassen und dann ein neues Zimmer hinzukamen, das über einen Laubengang mit dem Haupthaus verbunden war. Innen war es besser möbliert als die meisten Häuser: zum Beispiel das Wohnzimmer, wo auch der Esstisch aus Buschholz so stand, dass wir beim Essen den Blick über die Hügel genießen konnten. Der hellgraue Lehm der Wände war nicht weiß gekalkt worden, weil die Farbe so gut zu den Vorhängen von Liberty passte. Die Sessel, ein Sofa, Bücherregale waren von anderen Farmern gekauft worden. Der Schreibtisch bestand aus gebeizten Benzinkisten, und John William McVeagh und seine zweite Frau, die Tochter des Pfarrers einer Dissentergemeinde, schauten durch ein Moskitonetz auf die Veranda und die Reihen der grün lackierten, mit Pelargonien bepflanzten Benzin- und Petroleumkanister. Im Zimmer nebenan, dem Schlafzimmer meiner Eltern, hatten wir richtige Betten mit Matratzen, die Vorhänge waren von Liberty, die Teppiche aus Persien, das kupferne Waschgeschirr stand auf einem Benzinkisten-Waschtisch. Daneben, in dem Zimmer, das mein Bruder und ich zunächst gemeinsam bewohnten und das mir später allein gehörte, lagen Reetmatten auf dem Boden, die Bettüberwürfe waren aus orange gefärbten Mehlsäcken, Waschtisch und Frisierkommode aus schwarz lackierten Benzinkisten. Das kleine Zimmer ganz am Ende hatte ebenfalls Reetmatten, einen Waschtisch und eine Frisierkommode aus Benzinkisten. In diesem Zimmer wohnte Biddy O’Halloran ein Jahr lang. Sie bestickte die weißen Mehlsackvorhänge über und über mit leuchtenden Seidenfäden, deren Farben noch zwanzig Jahre später frisch waren.
Dass wir Öllampen hatten, die jeden Morgen gefüllt werden mussten, war nichts Bemerkenswertes, denn diese Farmen waren nicht dem Stromnetz angeschlossen. Normal war auch der Wasserkarren in einem strohgedeckten Schuppen mit seinen beiden nebeneinanderstehenden Tanks und den Hähnen, die niemals tropfen durften, denn jede Tasse Wasser war kostbar, weil die schweren Fässer drei- bis viermal die Woche von Ochsen den Berg hinaufgezogen werden mussten. Ebenfalls üblich der Abort zwanzig Meter weit den Berg hinunter: eine Holzkiste mit einer Öffnung über einem sieben Meter tiefen Erdloch, in einer kleinen Hütte mit einem Strohschirm vor der offenen Tür. Und der Fliegenschrank aus doppelten Hühnerdrahtwänden, durch die aus Behältern von oben langsam Wasser tröpfelte, Tag und Nacht; in ihm konnten die Lebensmittel kühl gehalten werden, weil er so aufgestellt war, dass er jeden Windhauch abbekam. Wenn der Fortschritt in ein Farmhaus in Gestalt von Strom, fließendem Wasser oder einem WC einkehrte, lud man die Nachbarn ein, den Triumph zu besichtigen, der angeblich auf uns alle abstrahlte und uns erfüllte.
Meine Mutter muss fast unverzüglich begriffen haben, dass nichts so kommen würde, wie sie es erwartet hatte.
Unlängst sind mir die unveröffentlichten Memoiren einer jungen Engländerin mit kleinen Kindern zugeschickt worden, über ihr Leben im Busch im alten Rhodesien: kein Haus, weil es noch gebaut werden musste, die Felder noch nicht gerodet – nichts. Vor allem kein Geld. Auch sie musste sich mit Notlösungen behelfen und improvisieren, sich mit Schlangen und wilden Tieren und Buschfeuern abfinden, Brot in Termitenbauten und Kuchen in Benzinkanistern über offenem Feuer backen lernen. Sie fand alles schrecklich, fürchtete sich vor den Schwarzen und verachtete sie, wurde mit allem nicht fertig. Bei der Lektüre verglich ich sie unwillkürlich mit meiner Mutter, die gar nicht auf die Idee gekommen wäre, einen Gemüsegarten dort anzulegen, wo er von einem Fluss, der bei Hochwasser über die Ufer trat, überflutet werden konnte, die nie vor einer Schlange weglief oder bei schweren Stürmen hysterisch wurde. Ein anderes Manuskript, diesmal aus Kenia, war genauso: nichts als Gejammer und Selbstmitleid und eine fast vorsätzliche Inkompetenz auf allen Gebieten. Diese beiden Memoiren brachten mich wieder auf das, mit dem auch meine Mutter am wenigsten fertig wurde. Es war kaum zu glauben, dass der erste Gedanke in den Köpfen dieser beiden Verfasserinnen trotz allem, was
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