Unter die Haut: Roman (German Edition)
aber inzwischen war er sehr viel klüger. Klug genug, um dem arroganten Detective, den er in der Klinik gesehen hatte, nicht auch noch einen Hinweis auf dem Silbertablett zu präsentieren.
Er hatte sich in den darauf folgenden Tagen oft gefragt, ob der Ärztin sein Präsent wohl gefallen hatte. Ahnte sie überhaupt, von wem es stammte? Er wäre an diesem Tag zu gern in der Nähe gewesen, um sie zu beobachten, wenn sie die Blumen bekam, und ihre Reaktion zu sehen, aber er konnte zurzeit nicht vorsichtig genug sein. Wenn er nicht wieder im Gefängnis landen wollte – was es unbedingt zu vermeiden galt -, war es von entscheidender Bedeutung, dass er sich unauffällig verhielt und nichts dem Zufall überließ. Also hatte er stattdessen gut sichtbar die Karte an dem Strauß befestigt, gewartet, bis am Empfang der Notaufnahme besonders viel los war, und dann den Strauß auf den Tresen gestellt. Er hatte die Papierhandtücher, mit denen er die Vase gehalten hatte, um sie nicht mit bloßen Händen zu berühren, in seine Jackentasche gesteckt und war aus der Tür geschlüpft.
Aber ein so indirektes Vorgehen verschaffte einem bei weitem nicht so viel Befriedigung wie ein direktes, und deshalb hatte er einen Entschluss gefasst. Er würde seine gewohnte Vorsicht ausnahmsweise vergessen. Der Dämon in ihm wurde stärker, die Stimme immer lauter und fordernder. Er hatte es bis oben hin satt, sich ständig dieses Genörgel anzuhören, wenn er sowieso bis zu dieser einen Nacht im Monat warten musste, in der er seine Bedürfnisse befriedigen konnte. Die Ärztin schien den Jäger in ihm zu beruhigen, aber es war schon viel zu lange her, seit er sie gesehen hatte, und ihre Kraft ließ nach, wurde nach und nach schwächer.
Er musste mehr über sie in Erfahrung bringen. Sehr viel mehr. Er brauchte irgendeine Form von persönlichem Kontakt. Wenn er dazu einige Zeit in der Klinik verbringen musste, wenn er sich also zeigen musste, dann war es eben so. Es war ein kalkuliertes Spiel. Schließlich war er ein helles Köpfchen. Er musste nur einen Weg finden, das Risiko so gering wie möglich zu halten.
Weil die Ärztin das Gegengift war. Und er war entschlossen, sich die höchste Dosis zu verschaffen.
Die Tür öffnete sich, und ein ausgelassenes Grüppchen von Ärzten und Schwestern, die dienstfrei hatten, fiel laut durcheinander redend und lachend in die Bar ein. Ivy, eingekeilt in ihrer Mitte, dirigierte sie zu ein paar Tischen in der Ecke und schlängelte sich dann geschickt zwischen alten Mahagonicocktailtischen und gepolsterten Lederstühlen zum Tresen durch.
»Hi, Onkel Mack«, rief sie zur Begrüßung. Sie legte ihre Handtasche auf dem Tresen ab und kletterte auf einen Barhocker.
Ihr Onkel, der sie nicht bemerkt hatte, als er den lärmenden Haufen beim Eintreten kurz gemustert hatte, unterbrach mitten im Satz das Gespräch, das er mit einem seiner Gäste führte. Er murmelte hastig eine Entschuldigung und kam mit strahlender Miene auf sie zu. »Ivy! Wie geht’s meinem Lieblingsdoktor?« Er beugte sich über die alte Holztheke, die sie voneinander trennte. »Gib mir einen Kuss, Schätzchen. Ich hab dich lange nicht gesehen.«
Sie kam ihm auf halbem Weg entgegen, gab ihm einen dicken Kuss und umarmte ihn, behindert durch den breiten Tresen, etwas ungelenk. Dann lehnte sie sich grinsend zurück und rieb ihm mit dem Daumen über die Unterlippe, um die Lippenstiftspuren zu entfernen, die ihr Kuss hinterlassen hatte. »Ups! Das machen wir lieber schnell weg, bevor Tante Babe es sieht und denkt, du hast eine kleine Freundin.« Sie blickte erwartungsvoll auf die Tür, die in die kleine Küche führte. »Ist sie da? Ich habe euch beide vermisst.«
Mack fasste sie unters Kinn. »Was ist los, Schätzchen, gibt dir keiner mehr um drei in der Früh was zu essen?«
»Nein!« Die Erinnerung an die vielen Male, die sie sich in den frühen Morgenstunden von der Klinik in ihre Wohnung über der Garage geschleppt hatte und von ihrer Tante und ihrem Onkel abgefangen worden war, die sie in ihre warme Küche schleppten, damit sie etwas in den Magen bekam, bevor sie in die Kissen sank, entlockte Ivy ein wehmütiges Lächeln. »Oh Mann, wie ich das vermisse. Wenn ich jetzt was zu essen will, muss ich es mir selbst machen – und du weißt ja, dass ich nicht annähernd so gut koche wie Tante Babe.«
»Das können auch nicht viele, Schätzchen«, stimmte er, stolz auf seine Frau, zu. »Das können nicht viele.« Dann strahlte er seine Nichte
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