Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
schillernd wie Smaragde. Seine spitzen, geschwungenen Hörner glühten in der Dunkelheit.
»Lord Wallham«, hatte er ihn mit einer tiefen Verbeugung begrüßt, Demut geheuchelt und Verständnis, weil er wusste, wie er zu Ruthven durchdringen konnte. Er kannte dessen wunden Punkt und setzte den Stachel so präzise und doch so behutsam, dass es Ruthven nicht auffiel.
»Wer seid Ihr?«, verlangte dieser zu erfahren, obwohl er es bereits ahnte.
»Ich weiß um Euren Schmerz. Um Euren Verlust. Ihr büßt für eine Schuld, die längst abgegolten ist.« Der dunkle Engel lächelte mitfühlend. »Ich will Euch etwas geben. Eine Fähigkeit, die Euch nützlich sein wird.«
»Was soll das sein?«, fragte Ruthven misstrauisch. Dass er dem Teufel höchstpersönlich gegenüberstand, war ihm durchaus bewusst. Was hatte er schon zu verlieren? Was konnte dieses Geschöpf ihm schon anhaben?
»Ich kann Euch die Gabe schenken, die Seele Eurer Liebsten zu erkennen, wenn Ihr sie seht. Und nicht erst, wenn Ihr das Leben aus ihr herausgesogen habt.« Ruthven wurde hellhörig, und der Teufel fügte schnell hinzu: »Ihr würdet sie nicht mehr töten, sie würde nicht durch Eure Hand sterben. Eure Schuld könnte sich nicht länger durch diese Tat mehren.«
Ein verlockendes Angebot.
Konnte er dem Teufel trauen? Völlig umsonst würde er ihm solch ein Geschenk sicher nicht gewähren.
Grinsend räumte der Gehörnte ein: »Der Preis wäre selbstverständlich Eure unsterbliche Seele, Mylord. Ich werde stets mit der Seele bezahlt, wie Ihr wisst.«
Ein bitteres Lachen stieg in Ruthvens Kehle auf. Er war unsterblich. Seine Seele dazu verdammt, ewig auf Erden zu wandeln. Ein seltsamer Handel, bei dem der Herr der Unterwelt nichts gewinnen konnte. Was sollte ihm geschehen, wenn er sich darauf einließe? Im schlimmsten Fall betröge der Teufel ihn, und er würde Silvie nicht erkennen. Was also hatte er zu verlieren? Nichts!
So hatte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen: Seine unsterbliche Seele dafür, dass er Silvie vor dem Todesbiss erkannte. Er hatte gehofft, seinen Fehler damit wieder gutmachen zu können. Doch das Schicksal war gegen ihn gewesen.
* * *
Ruthven stand auf der Veranda seines Hauses in Texas. Mit einem Glas Whisky in der Hand schaute er zu den hölzernen Baracken. Noch immer feierten die Farbigen das Ende des Bürgerkrieges. Auch Ruthven war froh; zwar besaß er Sklaven und war somit auch nicht besser als die anderen Großgrundbesitzer, doch hatte er stets Sorge getragen, dass seine Leute gut behandelt wurden. In den Nächten hatte er sich ihnen das eine oder andere Mal gezeigt. Doch keiner von ihnen kannte ihn wirklich, und niemand wusste um sein Geheimnis, obwohl die Schwarzen mit ihrem Wissen um Magie und Voodoo Vermutungen hegten. Die Verwaltung seines Anwesens hatte Ruthven seinem treuen Diener Luis Gonzalis überlassen, und der wusste, was er war.
Die Gesänge, ihre Musik. Seit Wochen war es immer das Gleiche. Heute Abend jedoch klang es anders. Fremdartige Schwingungen lagen in der Luft, sie kamen aus der alten Scheune. Der Vampir stellte sein Glas auf den Verandatisch und machte sich auf den Weg, das Geheimnis zu ergründen. Er hatte noch nicht die Tür geöffnet, da erfasste ihn ein Gefühl, wie er es lange nicht mehr gespürt hatte. Es ließ ihn taumeln. Überrascht stützte er sich einen Moment an der hölzernen Wand ab. Aufgewühlt versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Doch immer wieder brach ein einzelner mit der Kraft einer Urgewalt aus dem Strudel hervor: Silvie!
Schlagartig wurde es ihm klar: Der Pakt, den er mit dem Teufel geschlossen hatte, erfüllte sich. Ruthven sank überwältigt auf die Knie, weinte und lachte gleichzeitig. Ungestüm riss er die Tür auf, zündete eine Laterne an. Sie lag im Heu, sie schlief, und ihre zerfetzten Kleider bedeckten nur dürftig ihren hageren Leib. Leise hockte er sich neben sie, schaute lange in ihr dunkelhäutiges Gesicht. Vorsichtig berührte er ihre Wange. Sie erwachte und stieß erschrocken einen spitzen Schrei aus. Furcht spiegelte sich in ihren Augen.
Er wusste, sie war eine Sklavin auf der Flucht. Obwohl der Bürgerkrieg offiziell als beendet galt, waren immer noch Südstaatentruppen unterwegs, die jeden Farbigen, den sie trafen, töteten. Aus Rache für ihre Niederlage, und damit möglichst wenig Schwarze am Leben blieben.
»Hab keine Angst«, flüsterte er, »du bist in Sicherheit. Wie ist dein Name?«
»Rosie«, antwortete sie zögerlich und richtete
Weitere Kostenlose Bücher