Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Augen verband.
Kurz darauf hörte ich, wie ein Wagen vor uns hielt, und fühlte den kalten Lauf eines Revolvers im Nacken, als man mich zum Einsteigen drängte. Kaum hatten wir Platz genommen, drückte der Fahrer das Gaspedal durch, und wir brausten los.
Die Situation war so skurril, dass ich an alles Mögliche dachte, sogar an politische Motive. Schließlich war ich ein Ausländer.
* * *
Als das Fahrzeug anhielt, wurde ich brutal aus dem Wagen gezerrt und über einen Kiesweg zu einem Gebäude mit einer schier nicht enden wollenden Treppe hinaufgeschleift.
Dann stießen mich meine Entführer unsanft über eine Schwelle, und ich hörte, wie eine Tür hinter mir verriegelt wurde.
Es herrschte absolute Stille. Ich riss mir die Augenbinde vom Gesicht und blickte mich um.
In dem großen, prächtig eingerichteten Raum standen sämtliche Möbel aus kostbarem dunklem Holz auf einem Fußboden aus schwarzem Marmor. Das seltene und äußerst geschmackvolle Mobiliar war augenscheinlich sehr alt und offensichtlich ein Vermögen wert.
Die mit orientalischen Arabesken verzierten Paneele aus Elfenbein bildeten einen beeindruckenden Kontrast zu der mit dunkelroter Seide ausgeschlagenen Decke.
Durch die kleinen, fünfeckigen Fenster an der holzvertäfelten Wand zu meiner Rechten drang ein seltsam unwirkliches Licht herein. Das Gemach wirkte gleichzeitig düster und phantastisch auf mich.
In einem aus Stein gehauenen Kamin an der gegenüberliegenden Stirnseite des Raumes brannte ein kräftig züngelndes Feuer, dessen behagliches Knistern meine aufgebrachten Nerven ein wenig beruhigte.
Mein Blick schweifte ab, und ich sah in breiten ebenhölzernen Rahmen an der linken Wand eine Reihe grotesker Gemälde. Die unchristlichen Darstellungen und die blasphemischen Abbildungen von der Geburt des Antichristen waren von einer unnachahmlichen Kunstfertigkeit. Die stilistisch eigenwilligen Ölbilder in kräftigen Farben verfehlten ihre Wirkung nicht.
Was hat das alles zu bedeuten? , fragte ich mich im Stillen, als mich ein lautes Geräusch zusammenschrecken ließ.
Ein schrilles Ächzen und Knarren ertönte, und das mächtige Portal am anderen Ende des weitläufigen Raumes öffnete sich langsam wie von Geisterhand. Ein in schwarzblaue Seide gehüllter Mann mit schmalem Schnurrbart und dunklem, glatt gekämmtem Haar trat aus den Schatten hervor und bewegte sich auf mich zu.
Seine schleppenden Schritte erweckten in mir den Eindruck, als sei er die Erscheinung eines finsteren Traumes.
Dieses verstörende Bild wurde verstärkt, als ich glaubte, dass seine Füße beim Näherkommen den schwarzen Steinboden kaum berührten. Ich hätte schwören können, er schwebe – wie von dunklen Schwingen getragen.
Der sonderbar blasse Mann sagte, auch als er direkt vor mir stand, noch immer kein Wort. Er hob den Kopf und starrte mich mit dunklen, durchdringenden Augen an, und obschon ich spürte, was mit mir geschah, hatte er mich sofort unter seine Kontrolle gebracht. Ich konnte mich seinem Einfluss nicht entziehen – eine Art hypnotische Energie ging von seinem leblosen Blick aus.
Ein zäher Schleier der Müdigkeit breitete sich über meinem Verstand aus. Meine Lider wurden so schwer, dass sie sich wie von selbst senkten. Kaum hatte ich meine Augen geschlossen, breitete sich in meinem Körper eine ungeheure Hitze aus.
Das schwarze Nichts vor meinen geschlossenen Augen lichtete sich und wurde zu einem strahlenden Weiß.
In mir reifte die groteske Empfindung, meine Seele habe sich hinter sich selbst versteckt. Und ich hatte den unbeschreiblichen Sinneseindruck, mich im Inneren eines fremden Wesens zu befinden, dessen Körper ich als ein winziges mikroskopisches Individuum nur bewohnte, völlig eigenständig in meinem Denken, ohne jede Verantwortung diesem Fleisch gegenüber. Ohne Gewissen und ohne die Qual weltlicher Sorgen. Befreit und freigesprochen von allen Fehlern und manch barbarischer Entgleisung von dem bitteren Leid dieser Welt und dem Übel, das tief in der menschlichen Rasse wurzelt.
Eine himmlische Musik erklang aus der Ferne, zart gespielt auf Harfen und Geigen.
Vorsichtig öffnete ich die Augen und war überrascht. Ein rötliches, aufgeschwemmtes Gesicht, dem ich mich unmittelbar gegenübersah, sagte: »Einen guten Abend wünsche ich Ihnen, mein Herr!«
Der Fremde, vermutlich ein Westeuropäer, machte vor mir eine eigentümlich ungelenke Verbeugung, und ich hatte den Eindruck, dass er dabei verschmitzt grinste.
Ich erwiderte
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