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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
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nichts auf seine Begrüßung, sondern sah auf die Szenerie hinter ihm.
    Dort war eine Gesellschaft zu einem Bankett zusammengekommen. Das Fest schien bereits seit einiger Zeit im Gange zu sein.
    Zwar realisierte ich, dass ich in eine fremde, obskure Welt, eingetaucht war, wusste jedoch nicht, ob ich mich noch in der Realität oder in einem Traum befand.
    »Ich habe Sie nicht eintreten sehen. Erst als ich Sie gerochen habe, war ich mir sicher, dass Sie es auch wirklich sind«, sagte die Erscheinung vor mir.
    Ich konnte den Blick nicht von dem seltsamen Bankett abwenden. Maßlos tranken und aßen die Teilnehmer, was immer sie greifen konnten. Ihre Gesichtszüge konnte ich kaum erkennen, doch etwas sagte mir, dass sie sehr alt waren.
    Die kehligen Stimmen der Frauen wurden mit einem Mal lauter, und sie stammelten unverständlichen Worte nun schneller und schneller durcheinander. Die Männer hingegen aßen und tranken wie ausgehungerte wilde Tiere, immer gieriger und hastiger. Dabei besudelten und befleckten sie sich. Ihr Lachen klang höhnisch und gemein.
    Undeutlich vernahm ich durch die Geräuschkulisse aus einer Ecke des Raumes das traurige Weinen eines Kindes.
    »Bitte entschuldigen Sie vielmals, mein Herr«, fuhr der Rotgesichtige fort. »Sie sind wirklich spät dran. Mussten Sie an der Pforte warten? Wenn ja, so ist dies natürlich sehr bedauerlich. Doch der Verkehr ist momentan sehr groß. Alle müssen ihn persönlich sehen.«
    Ich fand, es sei das Beste, mich auf dieses sonderbare Spiel einzulassen und antwortete ernst: »Aber nein! Ich bitte Sie, mein Herr! Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Das kann doch vorkommen. Ich hätte es wissen müssen … Sie sind Menschenfresser.« Dann lachte ich – vermutlich etwas zu hemmungslos.
    Auch er lachte, obszön, und ich sah das Blut zwischen seinen Zähnen. Dann nickte er und setzte die Brille, deren Gläser er eben noch mit einem Tuch gereinigt hatte, wieder auf.
    Er sah sich verstohlen um und sprach mit gedämpfter Stimme weiter: »Ich möchte den anderen Herrschaften nicht den Appetit verderben.« Die Locken auf seinem breiten Kopf glänzten fettig und schmierig im schwefelgelben Dunstschein, als er das Haupt senkte und flüsterte: »Es tut mir sehr leid, aber ein wenig Geduld werden Sie wohl aufbringen müssen, bis es vollzogen ist.«
    »Bis es … vollzogen ist?«, wollte ich wissen.
    Behutsam zog er mich zu sich heran. »Es ist die mächtige, brennende Schlange am Ende des Horizonts. Die Engel meiden diesen Ort seit Tausenden von Jahren. Sie lügen nicht, wenn sie behaupten, der letzte Regenbogen sei von dort für immer verschwunden.« Er wisperte kaum mehr vernehmlich in mein Ohr. »Ja, mein Herr, so ist es!«
    Ich konnte mit seinen Worten nichts anfangen, doch nickte ich, als könne ich ihm folgen.
    Der Mann wandte sich von mir ab und ging an den leeren dunklen Räumen beiderseits des langen Ganges mit demonstrativer Souveränität vorüber. Während er mir zum Abschied noch ein letztes Mal zuwinkte, hörte ich das laute Dröhnen und Schnaufen des Dampfers, der stolz seine Abfahrt vom fernen Hafen verkündete. Ein leichter, bittersüßer Abschiedsschmerz schwängerte die drückende gelbe Luft.
    Ich wandte mich wieder dem Fest zu, sah mich aber plötzlich abseits stehen, nicht mehr als einen Teil der Gemeinschaft. Fremde, fast unsichtbaren Blicke waren auf mich gerichtet – starrend aus milchigen, pupillenlosen Augen. Dennoch konnte ich ihre Gesichter nicht erkennen, nur das unterdrückte Lachen, das sich in ihren Mundwinkeln abzeichnete.
    Mein gesamter Körper wurde von einem unheilvollen Frösteln heimgesucht, ein Gefühl der Einsamkeit überkam mich.
    Verängstigt hielt ich die zitternden Hände vor den Mund.
    Ich war völlig alleine mit mir und diesen fremden Wesen.
    Woher kamen sie?
    Wo war ich hier?
    Im Vorhof zur Hölle?
    In diesem Augenblick drang eine unfassbare Macht in mich ein und erschütterte mein Weltengewölbe. Mit einem Mal fühlte ich mich winzig und schwach.
    »Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben. Ihre Mutter ist schon hier. Folgen Sie mir bitte, dann führe ich Sie zu ihr!«
    Ohne das Gesicht meines Gegenübers richtig zu erkennen, antwortete ich leise: »Was soll das?«
    »Das werden Sie gleich sehen.« Er kehrte mir den Rücken zu, und es blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, während sich eine Frage immer deutlicher aufdrängte, bis ich sie laut aussprach: »Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, ob ich schon

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