Unter feindlicher Flagge
sich die Spitze der Pike durch die Schulterepaulette des Uniformrocks bohrte. Reflexartig schlug er nach dem Hals des Gegners, traf aber stattdessen die Augen. Als der Mann fiel, wurde Hayden schon von dem Nächsten bedrängt. Die Meuterer kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, doch der Zorn ihrer ehemaligen Kameraden brannte ebenso heiß. Eine Zeitlang wogte der Kampf hin und her, aber als die Meuterer begriffen, dass sie es gar nicht mit Franzosen, sondern mit den ehemaligen Kameraden zu tun hatten, erschraken sie. Nach und nach erkannte der erschöpfte Hayden, dass sie die Oberhand gewannen. Die Meuterer wichen über die Gangways zurück, einige sprangen hinab aufs Kanonendeck.
»Mr Hawthorne!«, rief Hayden, als er den Leutnant der Seesoldaten neben sich kämpfen sah. »Wir müssen die Magazine erobern!«
Hawthorne nickte und scharte einige Männer um sich. Derweil jagte Hayden über die Gangway, gefolgt von einigen Mitstreitern. Sie sprangen in die Kuhl zum oberen Kanonendeck, wo sich ihnen ein Bild von Zerstörung und Tod bot. Beißender Qualm und der Geruch von Blut hingen in der Luft.
Als sie sich dem Niedergang näherten, stapften Meuterer die Leiter hinauf. Gerade noch rechtzeitig suchten Hayden und seine Gruppe Schutz hinter den großen Geschützen, da die Gegner ihre Schusswaffen abfeuerten. Die Kugeln prallten gegen Eisen und Holz. Doch ehe die Meuterer nachladen konnten, griff Hayden mit seinen Leuten an. Die Meuterer zogen sich zum Niedergang zurück und kämpften dort so verbissen um ihr Leben, dass sie nicht einmal Wunden zu spüren schienen.
»Ah, da steckst du, Franklin Douglas«, rief einer von Haydens Männern. »Du schuldest mir noch was, du Hund!«, spie er förmlich aus und streckte den Meuterer mit einem Schuss zu Boden.
Da er befürchtete, dass seine Männer zurückgedrängt wurden, schoss Hayden den nächsten Gegner mit der zweiten Pistole nieder - einen Toppgasten namens Michael. Die Kugel traf den Mann am Mund. Er sackte in sich zusammen und stürzte die Leiter nach unten. Die Meuterer hielten noch stand, ehe sie unter Deck flohen. Zögerlich stieg Hayden über den Niedergang nach unten und spähte in die dunklen Ecken, da er jeden Moment damit rechnete, getroffen zu werden. Doch die Meuterer hatten sich weiter zurückgezogen oder lagen am Boden.
Der Kampflärm war allerorts verstummt. Eine seltsame, unheilvolle Stille beherrschte das Schiff. Haydens Männer von der Dragoon erschienen in der Unterkunft der Midshipmen und deuteten mit Handzeichen an, dass sie alles unter Kontrolle hatten.
Hayden stieg mit seinen Leuten hinab zum Orlopdeck und weiter zum Magazin, in dem nasse Decken gegen Funkenflug lagen. Es war fast vollkommen dunkel dort, aber an einer Tür spendete eine kleine Laterne etwas Licht. Sie hing immer dort, damit die Pulveraffen nicht völlig im Dunkeln tappten.
Die Tür zum Magazin hing schief in den Angeln, und Hayden stieß sie ein wenig weiter auf. Im matten Schein der Laterne sah er einen Mann am Boden hocken, der sich vor Schmerzen krümmte. Es war der junge Hüne Giles. Eine Hand presste er sich an die Seite, in der anderen hielt er eine Pistole, die er auf ein offenes Pulverfass gerichtet hatte. Im schwachen Licht wirbelten feine Staubpartikel durch die Luft - Pulverstaub.
»Giles ...«, sagte Hayden und versuchte, behutsam auf den jungen Mann einzureden. »Was machst du da?«
Der Hüne konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »Mr Hayden? Sind Sie das?«
Jetzt drückte Hayden die Tür so weit auf, dass Giles ihn sehen konnte. Der junge Mann litt furchtbare Schmerzen. Kalter Schweiß schimmerte in seinem Gesicht.
»Ja, ich bin's, Giles. Bleib ruhig.«
»Sind Sie zu den Franzosen übergelaufen, Sir?«, keuchte er.
»Keineswegs, Giles.« Hayden kämpfte gegen seine Aufregung an und merkte, dass er einen ganz trockenen Mund hatte. »Ich befehlige die französische Prise, die wir bei Belle Ile aufgebracht haben, und habe mich als Franzose gekleidet, um den Feind zu verwirren. Wir fanden die Offiziere und einige Besatzungsmitglieder der Themis in Booten.«
»Ihnen ist also nichts geschehen?«
»Nein«, erwiderte Hayden freudig und lächelte. »Mr Barthe erzählte mir, dass du dich nicht an der Meuterei beteiligt hast und auch in die Boote wolltest. Aber Stuckey ließ dich nicht gehen. Der Master wird die Aussage vor dem Kriegsgericht wiederholen, auch Mr Hawthorne, das versicherte er mir. Du kannst die Pistole sinken lassen. Du wirst ein freier Mann sein, da
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