Unter Trümmern
in Berührung und erschrak dermaßen über die Kälte, dass sie ihn losließ, das Gleichgewicht verlor und von der Kiste stürzte.
Tränen schossen Dorle in die Augen, als sie auf dem Boden lag. Ihre Knie und Ellenbogen schmerzten. Sie hatte sich nichts gebrochen, wie sie schnell feststellte, aber ihre Hilflosigkeit, ihr Alleinsein und ihre Schuld ließen sie verzweifeln. Hemmungslos ließ sie ihre Tränen laufen.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, wusste sie, dass sie Rolf ohne fremde Hilfe nicht aus der Schlinge befreien konnte. Aber sie konnte niemanden um Hilfe bitten. Hängen lassen konnte sie ihn aber auch nicht. Er würde dort wie ein ewiges Mahnmal baumeln.
Kurz entschlossen stand sie auf, ging in die Küche, nahm dort ein Messer aus dem Schrank, kehrte in den Keller zurück, kletterte auf die beiden Kisten und schnitt das Seil durch. Nur nicht nachdenken. Sich nur nicht das Geräusch vorstellen, wenn Rolfs Körper auf den Boden krachte.
Es war schlimmer, als sie es sich hatte ausmalen können. Plötzlich riss das Seil und Rolfs Körper löste sich aus der Fessel, schoss nach unten, schlug auf die Kiste und von dort auf den Boden. Völlig starr blieb er liegen, das Bein unnatürlich abgewinkelt. Von oben stierte sie auf den gebrochenen Körper. Das Messer hielt sie noch in der Hand, das Messer, mit dem sie, wie sie feststellte, Peter erstochen und das sie völlig unbewusst mitgenommen und in ihrem Haus abgewaschen und in den Schrank gelegt hatte. Mit einer heftigen Bewegung warf sie es von sich weg.
Langsam kletterte Dorle von den Kisten. Sie handelte mechanisch. Sie hob die kleine Kiste von der großen, ging nach oben in die Wohnung, nahm die beste Decke, die sie noch besaß, eilte wieder nach unten und breitete sie über der großen Kiste aus. Sie zupfte so lange an deren Enden, bis sie gerade und symmetrisch die Kiste völlig bedeckte. Sie packte Rolf unten den Achseln, hob den Körper an und versuchte ihn auf die Kiste zu heben. Das war trotz Rolfs geringen Gewichts viel schwieriger, als sie gedacht hatte. Als er endlich auf der Kiste lag, war sie schweißnass, obwohl es so kalt in dem Keller war. Die Decke war verrutscht. Dorle hob den Fuß des Toten an und zupfte die Decke zurecht. So machte sie es mit dem ganzen Körper. Das Ergebnis befriedigte sie nicht, aber sie wusste, dass sie es allein nicht besser hinbekommen würde. Sie stieg die Stufen aus dem Keller wieder nach oben und holte aus der Küche zwei Kerzen, die letzten beiden, die sie noch besaß. Sie stellte sie auf die Kiste zu beiden Seiten von Rolfs Kopf und zündete sie an. Langsam kniete sie sich neben ihn und betete wieder. Als sie den Keller verließ, war es draußen schon lange dunkel.
V
Paul Koch hatte auf seinen Hut verzichtet und die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Es war noch kälter als am Vortag. Er fühlte sich nicht gut, war übermüdet. Georg, sein Nachbar, hatte ihn gestern Abend, als er nach Hause kam, abgepasst und auf einen Absacker eingeladen. Aus dem einen wurde am Ende eine ganze Flasche und Koch vermied es wieder einmal zu fragen, woher Georg seinen Stoff bezog.
Jetzt musste er ertragen, dass Siggi ihn mitleidig ansah.
„Lassen Sie diesen Blick!“, ermahnte er den jungen Mann. „Ich habe gesoffen, dann muss ich das auch aushalten.“
Siggi wendete seinen Blick nicht ab und Koch nahm sich vor, ihn einfach zu ignorieren.
„Fahren Sie heute bitte langsam!“, forderte er ihn auf, worauf er ein Lächeln zur Antwort erhielt. Siggi hatte wieder auf den BMW bestanden und ihn tatsächlich auch bekommen.
Die Stelle, an der Franz Hartmann überfahren worden war, lag etwa zweihundert Meter vom Krankenhaus entfernt, am Rande eines Grünstreifens. Zur Zitadelle war es von da nicht weit.
„Stellen Sie den Wagen da vorne ab“, ordnete Koch an.
Nachdem Siggi geparkt hatte, lief Koch die Straße auf und ab und sah sich um. Kaum Häuser, viele Büsche und eine längere Gerade. Was wollte Hartmann hier, warum lief er hier lang? Wenn er nach Gonsenheim wollte, war dies die falsche Richtung. War er so verwirrt gewesen und hatte die Orientierung verloren oder war er hierher geführt worden, damit er genau an dieser Stelle, wo nur wenige Leute und wenige Autos vorbeikamen, überfahren werden konnte? Hartmann war weit geschleudert worden, der Wagen musste schnell gewesen sein. Er sah sich die Stelle an, an der Hartmann gefunden worden war, die getrocknete Blutlache war deutlich zu erkennen. Todesursache war eine
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