Unter Trümmern
und Zwiesprache mit sich, mit Rolf und mit Gott geführt hatte, verstanden.
Dass der Pfarrer selbst jetzt, wo es nichts mehr zu ändern gab, noch meinte, ihr ein schlechtes Gewissen machen zu müssen, enttäuschte sie und sie sagte sich, dass der Pfarrer nur ein Mensch war, dass der Herrgott Rolfs Entscheidung aber sehr wohl verstehen würde. Was ja nicht hieß, dass er sie guthieß. Aber er verzieh ihm diesen Schritt. Dorle war sich sicher, dass Rolf seinen Platz im Himmel finden würde.
Deshalb hörte sie auch irgendwann den Worten des Pfarrers nur noch halbherzig zu. Vielmehr Sorge bereitete ihr ihre Tat. Dass sie jetzt unter den Augen des Herrn hier saß, der mit angesehen hatte, was sie in dem Geheimversteck unter der Scheune getan hatte. Aber auch das war nicht mehr zu ändern. Hätte Peter ihr nur ein kleines Stück Fleisch gegeben, hätte er sie nicht angefasst. Sie hatte ihn ja nicht umbringen wollen. Es war ein Versehen, ein Unfall, den er selbst mitverschuldet hatte.
Sie bemerkte zunächst gar nicht, so sehr war sie mit diesen Gedanken beschäftigt, dass die Menschen um sie herum aufstanden, um nach draußen zum ausgehobenen Grab zu gehen. Karl, der ältere von Franzis Söhnen, kam zu ihr, um sie zu seiner Mutter zu geleiten. Während Dorle sich erhob, drehte sie sich noch einmal um, um zu sehen, wer alles gekommen war, und um mit einem dezenten Kopfnicken zu grüßen. Franzi wartete mit den anderen draußen auf sie. Die beiden Frauen setzten sich hinter dem Pfarrer und den Sargträgern an die Spitze des Zuges, der mindestens vierzig Menschen umfasste.
Die Sonne schien nun so warm auf sie herab, dass sie in ihrem Mantel zu schwitzen begann. Die ersten Krokusse waren aus dem Boden geschossen und säumten den Schotterweg, der zu den Grabfeldern führte.
Dorle öffnete die oberen beiden Knöpfe ihres Mantels, während der Zug sich langsam vorwärts bewegte. Sie machte kleine Schritte und musste darauf achten, nicht dem Pfarrer, der vor ihr ging, gegen die Ferse zu treten. Kleine Pfützen zeigten an, dass der Winter den Ort bis vor kurzem noch fest im Griff gehabt hatte.
Dorle erinnerte sich an den Moment, in dem Franzi ihr freudestrahlend mitgeteilt hatte, dass der Pfarrer nun doch in eine Beerdigung auf dem Friedhof eingewilligt hatte. Aber sie hatte ihr erst nicht verraten wollen, wie sie das erreicht hatte. Dorle vermutete, dass Franzi etwas über den Pfarrer wusste, mit dem sie ihn unter Druck gesetzt hatte. Franzis Mann Norbert war sehr engagiert in der Gemeinde gewesen und hatte sicher vieles mitbekommen. Sie saßen schon einige Zeit zusammen, hatten geredet, sich umarmt und gedrückt, da war es Franzi doch rausgerutscht, ohne Absicht, dass es der Brunner war, der dafür gesorgt hatte. Er war zufällig beim Pfarrer gewesen, als Franzi ihn zum zweiten Mal aufsuchte und ihn inständig anflehte, Rolf ein christliches Begräbnis zu gewähren. Der Brunner hatte abseits gestanden, hatte zugehört und war, nachdem der Pfarrer zum dritten Mal sein kategorisches „Nein“ wiederholt hatte, zu ihm getreten und hatte Franzi ein Zeichen gegeben, die beiden alleine zu lassen. Sie wartete vor der Tür, hörte drinnen laute Stimmen, aber verstehen konnte sie nichts. Nach mehr als zwanzig Minuten kam Brunner aus dem Zimmer, ging an ihr vorbei und lächelte sie an, ganz kurz nur und das Lächeln war auch mehr ein Zucken der Lippen. Es sah nicht schön aus, aber Franzi verstand. Drinnen teilte ihr der Pfarrer mit, dass sein christlicher Großmut gesiegt habe, dass der Herr Erbarmen gezeigt habe und dass er Dorles Sohn beerdigen werde. So zerknirscht hatte er das gesagt, so zwischen seinen Zähnen hervorgestoßen, dass Franzi wusste, dass er das weder freiwillig noch von Herzen tat, aber das war ihr egal. Rolf würde in geweihter Erde liegen und Dorle konnte ihre Ruhe finden. Vielleicht würde nun alles besser werden. Waren dies die Vorboten für eine bessere Zeit?
Dorle wollte dies in den Einzelheiten gar nicht so genau wissen. Sie war einfach nur froh gewesen über die Nachricht, hatte ihre Freundin so fest wie noch nie umarmt, war nach unten zu Rolf in den Keller gelaufen, um ihm zu sagen, dass nun alles gut werden würde.
Sie war später zur Bäckersfrau geeilt. Sie wollte Franzi etwas Gutes tun und ihr von der noch nicht ganz eingelösten Lebensmittelkarte Mehl kaufen, damit Franzi für ihre Jungs einen Kuchen backen konnte.
In dem Laden erhielt ihre Ausgelassenheit einen Dämpfer. Der Kommissar fiel ihr
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