Unterm Messer
ich sie ja großartig, aber als frei laufendes Fleisch ... Wie war das mit dem „essbaren Tiergarten“? Mhm, dort gibt es vor allem Schokolade. Wie friedlich. Dort sollten wir sein. Einige Holzplanken unter der Wanne. Vesna zieht die Wanne zur Seite. Wozu soll das gut sein?
„Früher war vor Schuppen ein Loch, das hat bis drinnen gereicht. Ich weiß nicht, was man da hat gelagert, ich kenne es von Haus von Großmutter. Schuppen war lange nicht so groß, aber sie war sehr stolz darauf.“
Vesna hebt eine der Planken an. Tatsächlich. Da ist ein Loch darunter. Vesna leuchtet mit der Taschenlampe hinein. Vielleicht zwei Meter tief. Ich kann gar nicht so schnell schauen und sie hat eine zweite Planke entfernt. Sie setzt sich an den Rand der Öffnung, lässt sich nach unten gleiten. Ich sehe, wie sie unten ankommt, steht, sich umsieht. Super, und wie kommt sie aus dem Loch wieder raus? „Gib mir Planke“, flüstert sie.
Dabei ist Flüstern wirklich total unnötig. Dass uns jemand hört, ist hier am Rand der Zivilisation äußerst unwahrscheinlich. Selbst die Hauptgebäude des Bauernhofs sind weit weg. Außer: Man sucht nach uns. Oder verfolgt uns. Stopp. Jetzt nicht solche Gedanken. Konzentrieren. Ich schiebe die Planke nach unten, starre ins Loch. Vesna legt sie schräg an die nackte Wand, die das Kellerloch zum Schuppen hin begrenzt, balanciert nach oben, zieht sich hoch und ist im Schuppen. Sehen kann ich sie jetzt nicht mehr. Ich will ihr nach, zu ihr. Ich starre abwechselnd in das Loch und zurück zum Bauernhof. Ich sehe, wie etwas im Schuppen aufblitzt. Beinahe hätte ich mich auf den Boden geworfen. Aber eine Pistole macht ein Geräusch. Selbst eine mit Schalldämpfer. Ich glaube nicht, dass auf Vesnas Pistole ein Schalldämpfer passt. Dazu ist sie zu klein. Außerdem liegt ihre Tasche im Gras. Und daneben der Blumenstrauß. Sollte ich nachsehen, ob die Pistole in der Tasche ist? Für alle Fälle? Wenn es keine andere Chance mehr gibt, uns zu verteidigen? Quatsch. Du kannst nicht schießen. Du bist überhaupt für solche Aktionen denkbar ungeeignet. Oskar hat recht. Ab jetzt werde ich tun, was Oskar sagt. Ich starre nach unten. Ich traue mich nicht zu rufen. Ich gehe auf alle viere, versuche, wenigstens Vesnas Beine zu sehen, irgendetwas, das mich beruhigt. Plötzlich ein Stoß. Beinahe wäre ich in das Loch gefallen. Ich werfe mich zur Seite. Die Tasche. Ich muss Vesnas Tasche kriegen. Vesna ... Vielleicht glauben sie, dass ich hier allein bin. Besser. Ich weiß von nichts, war einfach nur neugierig, habe Blumen gepflückt. Ich werde möglichst laut reden, damit Vesna gewarnt wird. „Was ist?“, sage ich. „Ich habe nur ...“
„Muuhuu“, macht es und ein Kalb starrt mich an. Wie gefährlich ist so ein Vieh? Jedenfalls nicht so gefährlich wie lateinamerikanische Sympathisanten einer rechtsgerichteten Guerillabewegung. Ich stehe langsam auf. Das Kalb glotzt mich an. Im Innern des Schuppens rumpelt es. Vesna. Sie ist wieder in der Vertiefung. „Was ist los?“, fragt sie leise.
„Nur ein Kalb“, antworte ich.
„Du musst mich hochziehen ein Stück.“ Vesna hat irgendetwas in der Hand. Sie legt die Planke in meine Richtung, verkeilt sie an der entgegengesetzten Wand. Die Planke reicht nur bis einen Meter unter die Kante. Vesna versucht, nach oben zu balancieren, strauchelt, fängt sich wieder. Sie hebt einen Gegenstand über den Kopf. Ich lege mich auf den Bauch, greife danach. Ein Laptop. Ich lege ihn neben mich. Gehe auf die Knie, packe Vesnas Hand. Sie zieht sich herauf, ist neben mir. Das Kalb steht noch immer da und glotzt.
„Hast du noch nie gesehen, was?“, sage ich zu ihm. Mutige Mira. Die, die mit der Kuh spricht. Okay, mit der kleinen Kuh.
„Ist Container da drinnen, war früher für Käse aus Molkerei, jetzt er ist voll mit Plastikbehältern mit Mäusen. Beim Eingang weiße Schutzkleider in Schutzhüllen, so wie für Spurensicherer. Offenbar ist wichtig, die Mäuse bleiben sauber. Und Kisten sind auch drinnen in Schuppen“, flüstert Vesna. „Ich habe fotografiert. Wir nehmen lieber Weg durch den Wald. Beginnt gleich hier und gibt Deckung.“
Dass hinter dem Schuppen der Wald beginnt, ist richtig. Dass da ein Weg geht, ist falsch. Wir kämpfen uns durch Büsche, über Baumwurzeln, durchs hüfthohe Gras. Inzwischen ist es dunkel geworden. Ich habe den Laptop in meine Tasche gesteckt, ich weiß schon, warum ich große Handtaschen so mag. Allerdings habe ich ihn jetzt auch zu
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