Unterm Messer
beschwingt, Grünwald nach einem vorsichtigen Blick rundum. Mir ist das rechte Bein eingeschlafen. Außerdem juckt es mich an den unmöglichsten Stellen. Verdammte Gelsen. Ich humple die Rebzeile hinunter, Vesna schaut, ob die Luft rein ist, winkt dann. Wir gehen eilig ums Haus herum, verschwinden im Eingang zum Gästetrakt. Hier ist auch in der Nacht nicht zugesperrt. Ein sicherer Ort. Weit weg von allem Bösen. Oder doch nur ein Ort, der so wirkt, als könnte hier nichts Böses sein? Ich denke an die Schafe und Schweine. Der Schinken, den ich am Nachmittag gegessen habe: War der von einem genetisch aufbereiteten Schwein? Wer weiß, was das für Auswirkungen hat? Na ja, wenn ich dann herumrennen könnte wie die und mir ein paar Muskeln wachsen würden, wäre das nicht weiter störend.
Vesna geht mit auf mein Zimmer, wir müssen sehen, ob wir gute Beute gemacht haben. Ich klappe den Laptop auf, starte ihn. Ein neues Modell, hochwertige Marke. Etwas Saft scheint er jedenfalls noch zu haben. Windows 7 fährt hoch. Auf dem Bildschirm das Icon des Internet Explorers, sonst nichts. Ich greife hin, will den Startbutton ... Aber Vesna schubst mich weg. Nur weil ihr Sohn was von Computern versteht ... Okay, ich muss zugeben, sie ist mir inzwischen auf diesem Gebiet um einiges überlegen. Hat eben einen guten Lehrmeister. Aber sie kann auch nichts anderes machen, als ich getan hätte. Sie forscht nach Dokumenten. Da sind keine. Da ist kein einziges. Auch kein Bild. Sie startet das große Suchprogramm und gibt „.docx“ ein. Der Laptop arbeitet. Der Akku soll, wenn die Anzeige stimmt, noch für zwei Stunden reichen.
„Jetzt wir wissen wenigstens, wo Forscher sind“, murmelt Vesna. „Und warum sie da sind untergebracht. Wie kann man sein so naiv.“
„Ich glaube, Grünwald mag die Tante wirklich.“
Vesna sieht mich an. „Du bist romantisch. Und: Schon möglich, er mag sie auch. Sie ist sicher zwanzig Jahre jünger und ganz hübsch und eine, die nicht viel fragt. Das mögen viele. Jedenfalls er nützt sie aus.“
„Er wird ihr das Haus gebaut haben. Oder sie dabei unterstützt haben“, werfe ich ein.
„Und? Was macht das für Unterschied?“
Der Laptop ist mit seiner Suche fertig. Kein Ergebnis. Wir probieren es dann noch mit anderen Dateiendungen. Aber es sieht so aus, als hätte Grünwald alles löschen lassen, bevor das Labor geräumt wurde. Oder hat das zur Routine gehört? Anderswo speichern. Auf der Festplatte löschen. So kann keiner zu viele Daten sammeln und alles bleibt in einer Hand. Und vor Spionen aller Art ist man auch geschützt. Mist. Pech für uns.
„Fran hat Möglichkeit, er kann gelöschte Datei wiederherstellen“, tröstet mich Vesna. Klingt allerdings so, als würde sie sich damit auch selbst trösten wollen.
„Immer geht das nicht“, werfe ich ein.
„Da du hast leider recht. Aber: Wir haben Fotos von Labormäusen und Kisten mit Laborsachen. Und wir haben Grünwald an Ort belauscht, wir hätten nie gedacht.“
Die Bilder, die Vesna im Schuppen gemacht hat, sind sehr gut geworden. Ich spiele sie auf meinen Laptop und speichere sie dann auch noch auf einem USB-Stick. Sie an meine Redaktionsadresse zu verschicken, traue ich mich nicht. Mäuse mit Knopfaugen und langen Barthaaren starren aus Kunststoffbehältern.
„Fahren wir“, sage ich dann.
„Wir übernachten hier“, erwidert Vesna. „Du kannst dich erinnern? Du wolltest unbedingt hervorragendes Tantenfrühstück.“
„Und wenn Grünwald und die aus El Salvador auch am Frühstückstisch sitzen?“
„Ist mehr als unwahrscheinlich. Bis jetzt sind Lateinamerikaner noch nicht zurück.“
Es ist Vesna gelungen, mich zu überzeugen. Die Vorstellung, schon wieder mitten in der Nacht nach Wien zu fahren, hat mich ohnehin nicht begeistert. Selbst wenn wir ein Auto dagelassen hätten. — Mein Auto. Es steht noch immer auf dem Parkplatz beim Vulkanfelsen. Angeblich besteht ja keine große Gefahr, dass er Lava speit. Besonders gut geschlafen habe ich nicht. Im Morgengrauen höre ich vom Bauernhof her einen Hahn krähen, irgendwo muht eine Kuh. Oder ist es unser gestriges Kalb? War der große Operationstisch im Kellerlabor für die Schweine und die Schafe oder reicht es, ihnen Proben zu entnehmen? Werden sie irgendwann einmal auf die herkömmliche Art geschlachtet und wird ihr Fleisch analysiert? Und macht die Tante aus den Teilen, die die Wissenschaft nicht braucht, Würste und Schinken? Ich sollte an etwas anderes denken. An
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