Unterm Messer
kommt die Tante, sie eilt beschwingt die paar Meter auf ihn zu, küsst ihn auf den Mund. Oh, sieh an. Er schiebt sie ein wenig von sich. Sein Blick schweift vom Gästehaus zum Parkplatz und die Wiese hinunter zum Pool. Dass oberhalb des Hauses jemand sein könnte, auf die Idee kommt er nicht. Die Tante zieht ihn in unsere Richtung. Wir drücken uns noch enger an die Reben, ducken uns. Was, wenn die beiden eine romantische Weingartenwanderung Vorhaben? Aber dann sehe ich, dass hinter dem Haus ein Tisch mit zwei Sesseln steht. Die beiden setzen sich. Die Tante zündet ein Windlicht an. Jetzt können wir auch eine Flasche Wein auf dem Tisch ausmachen. Zwei hohe Gläser. Und wir können erkennen, wer der Besucher ist. Grünwald. Wir nicken einander mit offenem Mund zu. Weiter nach unten können wir nicht mehr, spätestens wenn wir aus der Rebzeile kommen, würden sie uns sehen. Was also bleibt uns übrig, als zu lauschen?
„Ich bin froh, dass du es noch geschafft hast, zu kommen“, sagt die Tante.
„Du weißt, wenn es irgendwie geht ... Ich will ja zu dir“, erwidert Grünwald.
Der Schönheitschirurg und das Mädchen vom Land. Das schon reife Mädchen vom Land. Mit Bauernhof-Bruder und Fremdenzimmern. Die perfekte Zuflucht mit Familienanschluss.
„Es ist eben gerade jetzt wegen der Männer ...“, redet unsere Fremdenpensionstante weiter.
Grünwald nimmt ihre Hand und sagt beruhigend: „Es wird alles gut gehen. Sie sollen sie nur nicht finden, sonst bekommen meine Leute Probleme. Du weißt ja, dass die beiden Chinesen geflohen sind. Asyl bekommen sie bei uns nicht, und wenn man sie zurückschickt, sind sie tot. Und der Russe ... ich weiß nicht, aber gefährlich wäre es auch für ihn.“
„Natürlich“, nickt die Tante eifrig. „Ich will ihnen ja auch helfen. Die beiden anderen hab ich nach Graz gebracht. Ich habe gewartet, bis sie abgeflogen sind. In Madrid haben sie fünf Stunden Zeit, bis ihr Flug nach San Salvador geht. Ich finde es wirklich schlimm, dass die nicht einfach bei uns arbeiten können. Wem tun sie denn etwas?“
Grünwald nickt und schenkt ein. Sie trinken. Seltsam, die beiden Salvadorianer haben ein eigenes Auto gehabt. Und sie waren gegen Abend noch da.
„Wenn wir unsere Forschungen abgeschlossen und veröffentlicht haben, dann ist es viel leichter für mich, ihnen Papiere zu besorgen“, murmelt Grünwald und streichelt den Oberarm der Frau.
„Und dann ... und wann können es alle wissen? Das von uns?“
Grünwald lacht zärtlich. „Spätestens dann. Wahrscheinlich schon früher. Du musst noch ein wenig Geduld haben, Irmi. Die Damen, die zu mir kommen ... sie brauchen einfach das romantische Gefühl, dass ich allein bin und ganz für sie da bin. Nicht weil sie etwas von mir wollten, sondern weil sie dann den Eindruck haben, ich kann mich voll und ganz auf sie konzentrieren.“
„Fast wie ein Priester“, flüstert die Tante. Ist schon nicht zu fassen, was Frauen bereit sind zu glauben. Vor allem wenn sie in ein gewisses Alter kommen. In dem wir es ja eigentlich schon besser wissen müssten. Ich sehe Vesna an, sie verdreht die Augen. Wir verstehen einander. Tante Irmi redet weiter. „Aber weißt du, manchmal denk ich mir schon: Da sind so viele schöne und reiche und auch bekannte Frauen dabei. Vielleicht findest du eine Interessantere ..."
Grünwald lacht leise, streichelt ihre Wange und küsst sie dann. „Du bist meine Frau, mein Jackpot. Du bist schön, so wie du bist. Nie möchte ich, dass du da irgendwie nachhilfst. Du hast das nicht nötig. Am allerliebsten bist du mir ohne jede Schminke. Nackt. Ehrlich und rein. Glaubst du, dass ich das von irgendeiner, die ich durch meinen Beruf kennenlerne, sagen kann?“
Auf mich wirkt das beinahe, als würde er es wirklich so meinen. Die weiche, die verborgene Seite des Schönheitschirurgen. Ich sehe wieder zu Vesna. Aber die kann offenbar gar nicht mehr aufhören mit dem Augenverdrehen.
„Du bist so lieb“, flüstert die Tante. Das wäre mir jetzt zu Grünwald dann doch nicht eingefallen.
Nach einer halben Stunde weiterem Geturtel ist klar: Die Forscher sind bei der Tante untergebracht. Sie hält sie für Verfolgte. Sind sie vielleicht zum Teil auch. Zwei von ihnen, wohl mit Pass, sind nach Mittelamerika verschickt worden. Schade, dass Grünwald und seine Irmi kein Wort über die Morde verloren haben. Hätte vielleicht nicht so gut zur gefühlstriefenden Stimmung gepasst. Endlich sind sie ins Haus gegangen. Die Tante
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