Unterwegs in der Weltgeschichte
»natürliches« Ende war, hat mörderische Fantasien ausgelöst, die von Vergiftung bis Tod durch Ersticken â genauer gesagt: Ersticktwerden â reichen und bis heute gelegentlich wieder aufflammen.
Lassen wir also Barbarossa noch eine Zeitlang weiterschlafen und wenden wir uns seinem Enkel zu. Der Papst war einmal sein Vormund gewesen. Aber jetzt war er mündig und sprach für sich selbst: er, König von Sizilien, deutscher König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Friedrich II., der Staufer. Gebildet, in vielen Sprachen bewandert, interessiert an allen Wissenschaften, mit Vorrang für Mathematik und Philosophie, Verfasser volkstümlicher Verse sowie eines Buches über die Falkenjagd, eines Meisterwerks der frühen Naturkunde, war er eine Ausnahmeerscheinung unter den Herrschern des Mittelalters. Stupor mundi â »der die Welt in Erstaunen versetzt«, oder kürzer: das »Staunen der Welt« â hat man ihn schon zu Lebzeiten genannt. Und der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt hat ihn als den »ersten modernen Menschen auf dem Thron« bezeichnet.
Wie kaum ein anderer hat Friedrich seine Umgebung beeindruckt. Ein Zeitgenosse schrieb: »Sein Antlitz ist von anmutsvoller Schönheit, mit heiterer Stirn und einer noch strahlenderen Heiterkeit der Augen, so dass es eine Freude ist, ihn anzuschauen.« Diese Freude haben sich vor allem die Frauen gegönnt: drei Ehefrauen und neun Mätressen. Von zwanzig Kindern berichten die Chroniken.
Regieren im Mittelalter hieà vor allem: reisen. Physische Präsenz des Herrschers war gefordert, je gröÃer und unübersichtlicher sein Territorium und je schwieriger die Nachrichtenübermittlung war. Hof gehalten wurde dort, wo sich Kaiser oder König gerade befanden. Im Vergleich zu Karl dem GroÃen, der immerhin noch eine beträchtliche Zeit des Jahres in Aachen verbrachte, waren seine Nachfolger wahre Nomaden. Wer die Macht ausübte, musste sich zeigen und, da es keine Hauptstadt gab, möglichst viele kleine Residenzen schaffen â die Pfalzen â, in denen der Herrscher Station machen, Hoftage oder Reichsversammlungen abhalten, hohe kirchliche Feste feiern und vielleicht sogar den Winter verbringen konnte.
Sowohl die ambulante Seite seiner Herrschaft, sein Reisekaisertum sozusagen, als auch der stationäre, der sesshafte Teil seines Amtes trugen zum Staunen der Welt, das Friedrich II. bewirkt haben soll, bei. Sein Hof in Palermo war eine kleine Akademie â ähnlich der von ihm 1224 in Neapel gegründeten ersten »Staatsuniversität« des Abendlandes â, ein Anziehungspunkt für Dichter, Künstler und Wissenschaftler und ein Hort der Toleranz. Hier begegneten sich Angehörige des arabischen, griechischen und romanischen Kulturkreises zum Austausch von Ideen, zur gemeinsamen Forschung, zum Vortrag von Liedern und Gedichten und zur Ãbersetzung bedeutender Schriften, häufig vermittelt durch jüdische Gelehrte.
Wenn dies schon ein erfrischend anderer Herrschaftsstil im Vergleich zu den meisten Vorgängern oder Nachfolgern Friedrichs II. ist, so wird Ihnen das bunt gemischte Gefolge, mit dem der Kaiser auf Reisen ging, erst recht ungewöhnlich, ja aufregend exotisch vorkommen. Sie dürfen ruhig an einen Wanderzirkus oder an eine Arche Noah zu Lande denken. Geschützt durch die dem Herrscher treu ergebene Leibwache, die aus Sarazenen bestand, war nicht nur der fast komplette Hofstaat des Kaisers unterwegs, sondern in der Karawane wurden auch prächtig geschirrte Kamele, an Ketten gehaltene Panther und Löwen, Leoparden und Luchse mitgeführt, neben Hunderten von Jagdfalken, Papageien und Pfauen. Den Gedanken an eine artgerechte Behandlung müssen Sie sich leider abschminken. Dafür aber sicherte dieses einzigartige Schauspiel fast morgenländischer Pracht- und Machtentfaltung dem Kaiser ungeteilte Aufmerksamkeit und bezeugte seine Herrschaft über alles, was sich auf der Erde bewegte.
Ein solcher Mann zog nicht nur Bewunderung, sondern auch Neid und Hass auf sich. Viele seiner Zeitgenossen wollten ihn mundtot machen, ihn als einen Feind Gottes und der Kirche, einen Verächter der Religion brandmarken, der nur zum Schein ein Christ sei, in Wahrheit aber ein Ketzer und Gotteslästerer. Politische Interessen machten sich diese Beschuldigungen zunutze. Das zweite Konzil von Lyon erklärte ihn 1245 für abgesetzt und
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