Untitled
verschrieb.
Doch ehe er zu einem Grundsatzreferat über sein Lieblingsthema ansetzen konnte, waren sie am Burggraben angekommen.
Trübes, dunkles Wasser trennte die drei von der Ruine. Wie nur sollten sie in das Innere dieser düsteren Anlage gelangen? Sie brauchten gar nicht lange zu überlegen, denn plötzlich löste sich die schwere Zugbrücke von der inneren Mauer und schwebte langsam und völlig geräuschlos zur Erde.
„Bin ich taub oder quietscht sie wirklich nicht?" fragte der Geistliche erstaunt.
„Völlig geräuschlos, Hochwürden! Merkwürdig! Anscheinend verfügen die hier über gutes Schmieröl."
Langsam fuhr der Doktor auf die Brücke zu. Als er sie etwa zur Hälfte überquert hatte, setzte diese sich wieder in Bewegung, und schneller als gewollt befand sich das Gefährt in einem großen, kopfsteingepflasterten Hof. Zögerlich stiegen die drei aus.
Der Arzt verschloß sorgfältig seinen Wagen und schaute, wie schon die alte Dame und der Geistliche, zum Himmel auf, der unendlich weit weg zu sein schien. Mond und Sterne waren nicht zu sehen. Schwarze Wolkenfetzen jagten über den Himmel. Die Zinnen der Burgruine erhoben sich vor ihnen gleich drohenden Zeigefingern.
„O weh, o weh", jammerte Madame ängstlich und flüsterte Hochwürden zu: „Selbst wenn wir wieder weg wollten, wie kämen wir vom Hof herunter?"
„Die Wege des Herrn sind unerforschlich", gab der Geistliche wenig überzeugend zurück. Nur dem Doktor schien das Abenteuer immer noch Spaß zu bereiten.
„Wollen Sie nicht vielleicht doch eine Knolle Knoblauch, lieber Freund", fragte Madame zögernd. „Rein prophylaktisch, meine ich."
„Verschonen Sie mich mit diesem scheußlichen Zeug", brauste der Arzt auf, um gleich etwas versöhnlicher fortzufahren: „Trotzdem vielen Dank für Ihre Fürsorge! Aber jetzt wollen wir mal weitersehen!"
Vom Innenhof führten mehrere Türen in das dunkle Gebäude, die alle verschlossen schienen.
„Hallo, ist da jemand?" Die Stimme des Arztes drang laut durch die bedrückende Stille. Nichts rührte sich!
„Huhu! Wir sind's." Madame hauchte nur zaghaft und wäre am liebsten gleich darauf im nächsten Mauseloch verschwunden.
Ein fürchterliches Geheul durchdrang die nächtliche Stille.
Angewurzelt blieben die drei stehen.
„Darf ich die Herrschaften hier entlang bitten!" Eine heisere Stimme ließ sie schaudernd herumfahren.
Sie sahen sich einer hageren, dunklen Gestalt, die einen großen fünfarmigen Leuchter in der Hand hielt, gegenüber.
„Warum trägt er wohl einen Leuchter ohne Kerzen mit sich herum?" flüsterte die Dame.
„Auch wir müssen Energie sparen. Da ich es aber nicht gewohnt bin, mit leeren Händen durch die endlos langen Gänge zu laufen, begnüge ich mich mit dem Leuchter", erklärte der Heisere, der die flüsternden Worte verstanden hatte.
„Ja, aber dann sehen Sie ja gar nichts!" Die alte Dame hatte sich vom ersten Schrecken offensichtlich erholt.
„Ach wissen Sie, das macht nichts! Ich bin sowieso blind. Die Wege im Schloß kenne ich auswendig. Wenn ich nun bitten darf?" Höflich hielt er eine schwere Tür auf.
Nacheinander schlüpften sie in ein schwarz-gähnendes Loch. Da niemand von den Gästen wußte, wie der Weg verlief und deshalb keinen Schritt zu weit in die unergründliche Dunkelheit tun wollte, klammerten sich die drei aneinander und blieben stehen, bis sich der heisere Blinde an ihnen vorbeigedrängelt hatte, um die Führung zu übernehmen.
„Wollen Sie mir bitte gnädigst folgen", hustete er. Die drei, sich ängstlich an den Händen haltend, stolperten hintendrein durch die Dunkelheit. Immer wieder war das gräßliche Geheul, das ihnen schon bei ihrer Ankunft den Schreck in die Glieder hatte fahren lassen, durch die langen Gänge zu hören.
Jegliche Zeit- und Ortsorientierung war ihnen abhanden gekommen. Sie hatten das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Allmählich wurde das Geheule immer stärker.
„Entschuldigen Sie", räusperte sich Hochwürden. „Was ist das für ein schreckliches Gejaule?"
„Oh", krächzte der Blinde, „das ist Wölfi, der Werwolf! Das Wappentier der Familie! Wir hören ihn schon gar nicht mehr. Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht früher darauf hinwies." Damit überließ er das ängstliche Grüppchen seiner mehr oder weniger ausgeprägten Phantasie.
„Hochwürden!" Madame Vanille zupfte aufgeregt an der Soutane des
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