Untitled
wirklich leid», wiederholte Charles und trank einen Schluck Bier. «Diese Frau konnte einen Mann offensichtlich zur Verzweiflung bringen, wie es nur selten eine vermag.»
«Du findest Rechtfertigungen für einen Mord, Charles? Ich traue meinen Ohren nicht.»
«Nun ja, sie deswegen gleich zu erwürgen, das geht wohl zu weit», sagte Charles in einem Tonfall, als mache er ein Zugeständnis. «Aber ich bin mir immer noch nicht sicher, daß wir aus dem Schneider sind, Wimsey, selbst wenn wir – und davon gehe ich aus – in diesem Abflußrohr Papierablagerungen und Farbreste finden sollten. Er wird es einfach abstreiten, und den Geschworenen wird die Geschichte völlig abwegig vorkommen.»
«Was glaubst du, wie lange er gebraucht hat?» fragte Wimsey nachdenklich. «Er mußte den Leichnam ins Schlafzimmer schaffen und aufs Bett legen. Dann mußte er ihr die Maske abnehmen und sie verschwinden lassen.»
«Du meinst, wir sollten seine Zeitangaben für den Morgen genauso überprüfen wie für den Abend davor?»
«Ich wette, er war schon mindestens eine Stunde da, bevor er die Polizei angerufen hat, und kann keine Angaben machen, was er so lange gemacht hat. Die Uhrzeit des Anrufs ist doch sicher festgehalten worden?»
«Natürlich», sagte Charles. «Aber die Geschworenen werden sich leicht davon überzeugen lassen, daß er die Zeit damit ver bracht hat, heiße Tränen zu vergießen.»
«Nein, das werden sie nicht.» Peter war überzeugt. «Sie werden ihm nicht glauben, daß er auch nur eine Träne um seine Frau geweint hat, weil sie ihn wegen des Mordes an Phoebe Sugden aufhängen werden. Ich werde der einzige Mensch in England sein, der ihm abnimmt, daß seine Trauer um Rosamund echt ist.»
«Dann weißt du mehr als ich, Wimsey. Meines Wissens gibt es zwischen den beiden Fällen keine Verbindung außer dem eigenartigen Zufall, daß das Elternhaus der jungen Dame in Hampton steht. Jetzt erzähl mir nicht, daß du für Zufälle nichts übrig hast. Ich auch nicht, aber …»
«Ich habe dich schon darauf hingewiesen, Charles. Dann hast du wohl nicht aufgepaßt.»
«Worauf?»
«Die Geschichte, die Mr. Porsenna erzählt hat. Er sagt, Phoebe alias Gloria sei nach Hampton gefahren, um Kleider abzuholen.»
«Und?»
«Und dabei hat sie ihn irgendwann am Abend vielleicht dort gesehen. Während er laut seiner Aussage in der Stadt herumgelaufen ist, in Wirklichkeit aber seine Frau umgebracht hat. Alles, was sie getan hat, war, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, Charles. Sie hat ihn gesehen – sie sind sich vielleicht auf der Zufahrtsstraße begegnet –, nein, jetzt hab ich's, als er die Straße hochfuhr, um vor der Nachbareinfahrt zu wenden, da war es fast elf, und sie kam gerade mit ihrem Kleiderbündel aus der Tür, oder sie kam vom Pub nach Hause oder was auch immer.»
«Aber wußte sie denn, wie Harwell aussah? Er war nicht oft in Hampton gewesen, und sie hat nicht mehr bei den Eltern gewohnt.»
«Ich weiß, daß die beiden sich kannten. Harriet hat sie einmal zusammen beim Lunch im Ritz gesehen.»
«Also hätte sie sein Alibi zum Einsturz bringen können, oder besser gesagt, seine ganze Geschichte.»
«Und das ist ihr dann auch ziemlich schnell klar geworden. Sie hat den Daily Yell und solches Zeug gelesen.»
«Aber sie hätte doch zur Polizei kommen können und uns alles erzählen.»
«Tja, aber das kleine Fräulein hat nichts anbrennen lassen. Es war für sie wesentlich einträglicher, zu Harwell zu gehen und ihn mit einer kleinen Erpressung zu behelligen.»
«Wenn sie ihn erpreßt hat, wird es kein Problem sein, das Geld zurückzuverfolgen. Geld zieht eine Spur hinter sich, die so deutlich wie eine Fußspur ist, sie hält nur länger.»
«Es ging nicht um Geld. Es ging um etwas weit Begehrenswerteres, etwas, was man sich erträumt, wonach man ein brennendes Verlangen empfindet, etwas, wofür man seinen Namen hergeben würde und wonach man sich neidvoll verzehrt.»
«Aber kein Geld?»
«Ruhm, Charles. Rollen. Sie war eine mittelmäßige Schauspielerin, und sie brannte darauf, Hauptrollen zu bekommen. Nicht nur für sich selbst, auch für ihren jungen Freund. Sie sah sich schon zusammen mit ihrer Clique jede einzelne Rolle in Harwells Produktionen übernehmen, von jetzt an bis in alle Ewigkeit. Aber den Weg in die Ewigkeit hat er ihr etwas abgekürzt.»
«Sie ist ertrunken. Bei der Autopsie wurden keine Verletzungen festgestellt. Sie könnte von einer Brücke gestürzt sein. Und das könnte
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