Untitled
jede beliebige Brücke in London gewesen sein.»
«Könnte. Aber ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, sich das Cranbourne-Theater einmal etwas genauer anzusehen, meinst du nicht?»
«Ich kann einen Durchsuchungsbefehl besorgen, wenn du willst, und wir stellen das Haus auf den Kopf.»
«Ich hatte eher daran gedacht, eine kleine Falle aufzustellen. Ich weiß, daß du nicht in die Trickkiste greifen darfst, aber mir steht es frei. Harwell reagiert sehr impulsiv, glaube ich.»
«Impulsiv? Das sagst du, nachdem er so ein ausgefeiltes Heckmeck mit der Maske veranstaltet hat?»
«Er ist wie ein Schachspieler, der einen bösen Fehler macht und dann aber sehr geschickt darin ist, zu retten, was zu retten ist. Ein Mann, der es nicht ertragen kann zu verlieren. Ein Mann, der glaubt, ein Anrecht auf Erfolg zu haben und daß für ihn die Gesetze Gottes und die der Menschen nicht gelten. Ich weiß auch, Charles, daß die Chancen nicht gut stehen, ihn vor Gericht einwandfrei mit einer in der Themse treibenden Leiche in Verbindung zu bringen. Deswegen sind wir auf seine Mithilfe angewiesen. Vielleicht kriegen wir ihn dazu, daß er sich um Kopf und Kragen redet. Paß auf, ich habe mir das so gedacht …»
19
Hinab zur Höll! und sag, ich sandte dich
WILLIAM SHAKESPEARE
Das Cranbourne-Theatre war 1780 erbaut worden und hatte einiges von der Anmut und dem Glanz der Barockzeit bewahrt. Die Logen und Ränge erhoben sich in graziösem Schwung über dem Parkett. Die Kulissen der Vorbühne waren von wild durcheinanderschwirrenden Messingputten im Basrelief bevölkert, und die Decke war üppig mit rosa angehauchten Wolken und den Fahrwerken fliegender Engel bemalt. Es war als Opernhaus errichtet worden und hatte in den Zeiten von Mozart auch als solches gedient. Nach heutigen Ansprüchen war es für diesen Zweck viel zu beengt, da der Orchestergraben zu klein war und es an Stauraum für ausgefeilte Dekorationen mangelte. So galt es mittlerweile einfach als eine unter vielen Londoner Bühnen, es war freilich immer noch die eleganteste.
Wimsey meldete sich am Bühneneingang und erklärte, er sei Architekturhistoriker. Er würde sich glücklich schätzen, wenn man ihm eine Führung durch das Haus ermöglichen könnte. Ganz besonders sei er an der Gebäudekonstruktion interessiert.
Der Pförtner bedauerte sehr, aber es sei gerade eine Probe im Gang. Es bestehe kein Zutritt zur Bühne oder dem Zuschauerraum.
«Die Leute werden nervös, wenn jemand bei der Probe zuschaut», erzählte er Wimsey. «Diese Künstler haben ja so schrecklich empfindliche Nerven, Sir, das können Sie sich gar nicht vorstellen.»
Wimsey verstand durchaus. Aber zufälligerweise galt sein Interesse den Grundmauern des Gebäudes.
«Witzig, daß Sie das sagen, Sir. Sie wären überrascht, wenn ich Ihnen erzählen würde, was Sie da unten finden können. Ich würde Sie ja gerne mit hinunternehmen, aber ich kann nicht von der Tür weg.»
Wimsey erklärte sich bereit, mit einigen Richtungsanweisungen den Weg auch alleine zu finden «Auf Ihre eigene Gefahr, Sir. Passen Sie nur ja auf, wo Sie hintreten.»
Wimsey versprach es hoch und heilig. Als ob ihm der Gedanke erst in diesem Moment gekommen wäre, ließ er seine Karte auf dem Tresen zurück.
«Wenn vielleicht jemand von der Direktion im Hause sein sollte …», sagte er. Sich immer an der Rückwand haltend, schlüpfte er durch den Zuschauerraum, ohne daß ihn die Schauspieler auf der Bühne bemerkten. Der Regisseur saß in der ersten Reihe und schrie sein Ensemble an. Wimsey verließ den Saal durch eine Tür, die als Notausgang gekennzeichnet war, ließ aber die Sicherheitstüren, die ins Freie führten, links liegen und ging statt dessen durch eine grüne Tür ohne Kennzeichnung, die hinter die Bühne führte. Sofort wandte ihm das Gebäude sein schäbiges Alltagsgesicht zu. Vom prunkvoll goldenen Make-up der Foyers und des Zuschauerraums war nichts mehr zu spüren, präsentierte sich hier doch alles in einem trüben und verblaßten Grünton, und die vor langer Zeit aufgetragene Farbe war alt und blätterte von den Wänden. Uraltes ausgetretenes Linoleum bedeckte den Boden der Gänge. Wimsey kam durch die Seitenkulisse und erspähte eine der Schauspielerinnen, die gerade, von ihren Empfindungen überwältigt, die Arme ausbreitete, den Kopf zurückwarf und rief: «Die Pflicht! Was ist die Pflicht im Vergleich zur Liebe?»
«Suzie, um Himmels willen, geht das denn nicht mit Gefühl?» donnerte der
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