Untitled
einmal überdenken und dir ein Memorandum über unseren Hofmarschall zukommen lassen.»
«Ein treuer Gewährsmann soll es mir verlesen. Bleibst du heute morgen zu Hause?»
«Ich habe eine Verabredung mit Gaston Chapparelle.»
«Ach ja, der Gentleman, der sich in dein Fleisch verguckt hat. Ich hoffe, er verwertet es gut. Die Sache ist für mich schließlich mit einer Gebietsabtretung verbunden.»
«Als Gemälde wird es sicher gut», sagte Harriet zweifelnd. «Ich weiß nur nicht, ob du es mögen wirst.»
«Nun, ich werde mich gedulden, bis es fertig ist, und dann in meiner Thronrede darauf eingehen. Zuvor jedoch wünscht man in einer kleinen Angelegenheit der hiesigen Kanalisation dringend meinen Rat. Soll ich dich am Atelier absetzen? Ich fahre in Richtung St. John's Wood.»
«Danke sehr.» Gaston Chapparelle stellte seine Palette ab.
«Das war sehr gut. Sie können sich jetzt setzen und Ihre Ge
danken wieder von den angenehmen Dingen abwenden, auf die Sie sich gnädigerweise auf meine Bitte hin konzentriert haben. Sie folgen meinen Instruktionen à merveille. We nn Sie als Ehefrau so folgsam sind wie als Modell, dann läuft in Ihrem Heim ja wohl alles wie am Schnürchen. Ich würde nur die kleine Einschränkung machen – Zigarette? –, daß das Verhalten von verheirateten Frauen gegenüber anderen Männern keinerlei Aufschluß darüber gibt, wie sie mit dem eigenen Ehemann umspringen. Ich will daraus gar keine Schlußfolgerungen ziehen. Ich stelle nur eine Tatsache fest.»
«Ihre Beobachtung ist vollkommen zutreffend, wenn auch vielleicht nicht geradezu originell.»
«Die Wahrheit kann leider nur selten originell sein. Es gibt so wenige Wahrheiten in dieser Welt, daß kaum eine in den ganzen dreihunderttausend Jahren der Menschheit dem Schicksal entfliehen konnte, zu einem Aphorismus verarbeitet worden zu sein. Im Vergleich zu der Seltenheit, mit der diese Wahrheiten auftauchen, gibt es glücklicherweise viel öfter andere angenehme Gegenstände, deren Betrachtung man sich widmen kann. Ich wette hundert zu eins, daß Ihre kleine Reverie, die einen so passenden Gesichtsausdruck für mein Portrait der neuen Braut geliefert hat, auf nichts als Täuschung beruht. Nichtsdestotrotz hat sie ihren Zweck erfüllt.»
«Worüber ich nachgedacht habe», klärte ihn Harriet auf, «das war eine kleine Angelegenheit der hiesigen Kanalisation.»
«Kanalisation? Ah! j'y suis – les égouts , dafür die Kanäle, n'est-ce pas? Das ist nun ganz gewiß kein Objekt der Phantasie, das will ich zumindest nicht hoffen, sonst würden wir noch alle von der Cholera dahingerafft. Evidemment , es sind auch nur die Engländer, die sich in ein Thema wie Kanalisation mit Verzückung versenken können. Nun ja, das ist wohl Geschmackssache. Die Liebe, die Kanalisation, ein neues Kleid, ein Diadem aus Diamanten – mir ist egal, was es ist, Hauptsache, es bringt die Verzückung zum Vorschein.»
Harriet verspürte keine Regung, den neugierigen Geist von Monsieur Chapparelle über die Faszination der Kanalisation aufzuklären. Sie wanderte im geräumigen Atelier umher und besah sich vollendete und unvollendete Arbeiten.
«Das ist ja Mrs. Laurence Harwell!»
«Ah! Sie ist wirklich schwierig. Also, im hierzulande gängigen Sinn des Wortes. Es ist überhaupt nicht schwer, sie zufriedenzustellen. Der Ehemann, das ist schon ein anderer Fall. Er hält mich für den großen, bösen Wolf, der sein schönes rothaariges Rotkäppchen verschlingen will. Deshalb ist er immer dabei und paßt genau auf, was ich tue. Da ich nun aber immerzu nur male und er nicht das geringste von der Malerei versteht, langweilt er sich dabei zu Tode. Je m'en f … – verzeihen Sie bitte meine Ausdrucksweise –, soll er doch in seiner Ecke hokken und Däumchen drehen! Ich gebe ihm die Zeitung. Ich sage, bitte sehr, machen Sie es sich bequem. Nach fünf Minuten steht er wieder da, schaut mir über die Schulter und versucht zu begreifen, wie der Zauber funktioniert. Er schaut mein Bild an, schaut seine Frau an und ist verdutzt. Er schaut sie noch einmal lange an und weiß nicht, daß gar nicht da ist, was er sieht. Aber sehen Sie sich das an! Das, was er sieht, soll er in meinem Bild auch finden, quand même. Wi e Sie bemerken, hält das Modell hier etwas in der Hand. Ja, es fehlt noch. Was ich ihr für den Moment gegeben habe, ist ein Topfdeckel. Nicht sehr inspirierend, was? Ein Topfdeckel. Bon ! Morgen wird sie etwas kriegen, was ihr besser gefällt.»
«Einen
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