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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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wildgewordener Kinder hindurch ein schwaches Läuten. Die Tür wurde aufgerissen, und zwei atemlose kleine Mädchen in Partykleidchen starrten zu ihm hoch. Oliver nahm die Baskenmütze ab und vollführte eine tiefe orientalische Verbeugung.
    »Onkel Ollie«, verkündete er mit ungeheurem Ernst - doch ohne ihnen Angst zu machen - »Unvergleichlicher Zauberer. Zu Ihren Diensten, meine Damen. Bei Regen und Sonnenschein. Führt mich bitte zu eurem Häuptling.«
    Hinter ihnen tauchte ein Mann mit rasiertem Schädel auf. Er trug ein Netzhemd und am ersten Knöchel jedes seiner breiten Finger eine Tätowierung. Oliver folgte ihm ins Wohnzimmer und machte sich mit Bühne und Publikum vertraut. In seinem kurzen neueren Leben war er schon in Villen, Scheunen und Dorfsälen, an überfüllten Stranden und bei Windstärke acht in einem Buswartehäuschen aufgetreten. Er hatte vormittags geübt und nachmittags Auftritte gehabt. Er war vor armen Kindern, reichen Kindern, kranken Kindern und Heimkindern aufgetreten. Anfangs hatte er sich von den Leuten in die Ecke vom Fernseher und der Encyclopaedia Britannica stellen lassen.
    Inzwischen war er soweit, daß er auch Widerspruch äußern konnte. Die Verhältnisse an diesem Nachmittag waren beengt, aber angemessen. Sechs Erwachsene und dreißig Kinder drängten sich in dem winzigen Wohnzimmer, die Kinder im Halbkreis auf dem Boden, die Erwachsenen zu einem Gruppenfoto auf ein kleines Sofa gequetscht, die Männer unten, die Frauen ohne Schuhe über ihnen auf der Rückenlehne. Oliver begann auszupacken, zog aber den Wolfsmantel nicht aus. Er tauchte auf und nieder, benutzte den weiten Mantel als Sichtschutz und baute mit Sammys Hilfe den Käfig zusammen, aus dem dann der Kanarienvogel verschwinden sollte, und bereitete Aladins Wunderlampe vor, die sich, wenn man sie rieb, mit kostbaren Schätzen füllte. Und als er sich auf den Hosenboden setzte, um die Kinder Aug in Auge ansprechen zu können - denn er sprach grundsätzlich niemals von oben herab, lieber von unten hinauf oder mindestens auf gleicher Höhe mit seinem Publikum -, und seine starken Knie, von denen die schwammigen Hände schwer herabbaumelten, neben den Ohren aufragten, glich er irgendwie einer Gottesanbeterin, halb Prophet, halb Rieseninsekt.
    »Hallo, alle miteinander«, begann er mit erstaunlich sanfter Stimme. »Ich bin Onkel Ollie, Künstler der Magie, Meister der flinken Finger und Geheimnisse.« Er sprach jetzt fast normales Englisch, nicht übertrieben vornehm, aber fast ohne seinen sonstigen Akzent. Sein Lächeln wirkte wie befreit, freundlich und warm. »Und hier zu meiner Rechten haben wir den großen und nicht sehr guten Sammy Watmore, meinen unschätzbaren Gehilfen. Sammy, verbeuge dich bitte - Aua!«
    Aua schreit er, wenn Rocco der Waschbär ihn beißt, und das
    seinem massigen Körper hoch in die Luft und landet wieder mit ungeahnter Grazie, während er gleichzeitig unter dem Vorwand, Rocco zurückhalten zu müssen, auf die raffinierte Feder in dessen Bauch drückt. Und wenn Rocco zur Raison gebracht ist, muß auch er förmlich vorgestellt werden und die Kinder mit einer blumigen Rede willkommen heißen, insbesondere natürlich das Geburtstagskind Mary Jo, ein zierliches und sehr hübsches kleines Mädchen. Von da an ist es Roccos Aufgabe, den Kindern zu zeigen, was für ein schrecklicher Zauberer sein Herr und Gebieter ist; zum Beispiel streckt er die Schnauze aus dem Wolfsmantel hervor und ruft: »Oha, ihr solltet mal sehen, was hier sonst noch alles drin ist!« Und dann wirft er alles mögliche hinaus, Spielkarten - nur Asse -, einen ausgestopften Kanarienvogel, ein Päckchen mit angebissenen Sandwiches, eine tödlich aussehende Plastikflasche mit dem Etikett SCHNAPS. Und nachdem er Oliver als Zauberer entzaubert hat - wenn auch nicht vollständig -, entzaubert Rocco ihn als Akrobaten, indem er sich an seiner Schulter festklammert und ängstliche Schreie ausstößt, während Oliver unglaublich behende, mit ausgebreiteten Armen und wehendem Wolfsmantel, auf dem roten Ball in der winzigen Arena des Wohnzimmers herumreitet. Fast, aber nie richtig, stößt er an Bücherregale und Tische und das Fernsehgerät, trampelt den am nächsten sitzenden Kindern auf die Füße, und dabei zetert Beifahrer Rocco, Ollie überschreite das Tempolimit, er habe gerade einen Polizeiwagen überholt, er rase auf ein unbezahlbares Familienerbstück zu, er sei falsch in eine Einbahnstraße eingebogen. Die Stimmung im Raum, aber auch

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