Untot in Dallas
brachte ihr das Jammern lediglich einen kräftigen Klaps auf den Po sowie die tadelnde Bemerkung ihres Vaters ein, sie könne sich glücklich schätzen, denn sie würde schon bald mit eigenen Augen einen ganz erstaunlichen Beweis für die Existenz und Macht Gottes sehen dürfen. Hautnah würde sie miterleben können, wie Gott sich eines Sünders erbarmte und ihn rettete!
Selbst unter den gegebenen Umständen, wo ich mir doch eigentlich über andere Dinge hätte den Kopf zerbrechen sollen, konnte ich nicht umhin, die Worte dieses Vaters zu mißbilligen. Hatte der Mann eigentlich verstanden, was der Führer seiner Gemeinde plante? Daß er, seine Familie und die gesamte Gemeinde würden zusehen müssen, wie zwei Vampire bei sozusagen lebendigem Leib in den Flammen den Tod fanden? Wobei mindestens einer der Vampire noch dazu einen Menschen im Arm halten würde, der ebenfalls verbrennen sollte? Ich fragte mich, wie es wohl um die geistige Gesundheit des kleinen Mädchens bestellt sein würde, wenn es erst einmal einen solchen 'erstaunlichen Beweis' für die Existenz und Macht Gottes mit angesehen hatte.
Bekümmert sah ich, wie sich die Familie munter plaudernd anschickte, ihre Schlafsäcke an der Außenwand der Kirche auszubreiten. Immerhin redete man in dieser Familie miteinander! Außer dem immer noch jammernden kleinen Mädchen waren noch zwei ältere Kinder dabei, ein Junge und ein weiteres Mädchen. Die beiden stritten die ganze Zeit wie Hund und Katze, wie es unter Geschwistern üblich ist.
Plötzlich trabte ein Paar kleine, flache rote Schuhe am Ende meiner Sitzreihe vorbei, um durch die Tür zu verschwinden, die zu dem Gebäudeflügel führte, in dem Steves Büro lag. Ob die kleine Gruppe dort wohl immer noch mit ihrer Debatte beschäftigt war?
Wenig später kehrten die rotbekleideten Füße auch schon wieder; diesmal bewegten sie sich erheblich schneller. Was das wohl zu bedeuten hatte?
Ich wartete. Es vergingen etwa fünf Minuten, in denen gar nichts geschah.
Es wurde spät; jetzt würden immer mehr Menschen hier eintreffen. Jetzt oder nie! Ich rollte unter der Bank hervor und stand auf, wobei ich von Glück sagen konnte, daß die Familie davon nichts mitbekam, weil alle gerade anderweitig beschäftigt waren. Zielstrebig und mit großen Schritten eilte ich auf die Doppeltür am hinteren Ende der Kirche zu. Als die Familie nun plötzlich verstummte, wußte ich, daß die Leute meine Anwesenheit mitbekommen hatten.
„Hallo!“ rief die Mutter, richtete sich auf und stand nun, im Gesicht nichts als freundliche Neugierde, neben ihrem leuchtend blauen Schlafsack. „Sie sind wohl neu bei der Bruderschaft? Ich bin Francie Polk.“
„Ja, ich bin neu!“ rief ich und winkte der Frau fröhlich zu. „Ich habe es ein wenig eilig. Bis später!“
Leider kam die Frau näher. „Sind Sie verletzt?“ wollte sie wissen. „Sie müssen entschuldigen, aber Sie sehen fürchterlich aus! Ist das Blut? Das da?“
Ich blickte hinunter auf meine Bluse; auf meiner Brust waren ein paar kleinere Flecken zu sehen.
„Ich bin gefallen“, erwiderte ich, wobei ich versuchte, ein wenig kläglich dreinzuschauen. „Deswegen will ich nochmal nach Hause. Ich brauche ein paar Pflaster und möchte mir auch etwas anderes anziehen. Ich komme aber wieder.“
Es war deutlich zu sehen, daß Francie Polk da ihre Zweifel hatte. „Im Büro ist ein Verbandskasten“, sagte sie. „Ich hole den eben mal schnell. Was sollte dagegen sprechen?“
Dagegen spricht, daß ich es nicht will! „Ich brauche doch aber auch eine frische Bluse!“ sagte ich, wobei ich die Nase rümpfte, um ihr zu zeigen, was ich davon hielt, die ganze Nacht in einer dreckigen Bluse herumzulaufen.
Nun war auch noch eine weitere Frau durch genau die Tür hereingekommen, durch die ich entweichen zu können hoffte. Sie blieb stehen und hörte unserer Unterhaltung zu, wobei ihre schwarzen Augen unablässig zwischen mir und der wild entschlossenen Francie hin- und herhuschten.
„He, Mädel!“ sagte sie mit einem leichten Akzent. „Grüß dich!“ Dann nahm mich die kleine, schwarzhaarige Frau lateinamerikanischer Abstammung, die ich vorher schon im Flur getroffen und als Gestaltwandlerin erkannt hatte, herzhaft in die Arme. Da ich aus einem Kulturkreis stamme, in dem man sich gern und oft umarmt, erwiderte ich die Umarmung automatisch. Während wir einander so in den Armen hielten, zwickte mich die kleine Schwarzhaarige bedeutungsvoll in den Arm.
„Wie geht es dir
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