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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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Hauptportal. Ein einzelner Schüler kam ihr entgegen, ein stämmiger Junge mit munterem, rotbackigem Gesicht. Mona lächelte ihm durch die Windschutzscheibe zu, aber sein konzentrierter Blick war auf den asphaltierten Weg vor ihm gerichtet. Als Mona langsam an ihm vorbeifuhr, bückte er sich. Im Rückspiegel sah Mona, dass er ein paar Kastanien aufsammelte, die noch in ihren stachligen grünen Schutzmänteln steckten. Mona erinnerte sich daran, wie schön der Moment war, wenn man die Kastanien herausgeschält und sie dann in der Hand liegen hatte - kühl, glatt und glänzend wie poliert. Die erste Lektion im Fach Nichts-bleibt-wie-es-ist: Schon nach einem halben Tag wurden die braune Schicht matt und der leuchtend weiße Stempel grau.
    Die Konferenz fand diesmal in Berghammers Büro statt. Schmidt, Forster, Fischer und Mona saßen an seinem ovalen Besuchertisch, Berghammer hatte hinter seinem Schreibtisch Platz genommen. Es gefiel Mona nicht, dass sie nun als Gleiche unter Gleichen saß, aber sie sagte nichts. Es war vielleicht keine Absicht gewesen. Andererseits war Berghammer für subtile Botschaften bekannt. Diese hier lautete, wenn es denn eine war: Deine Position musst du dir neu verdienen.
    »Erst die gute Nachricht«, sagte Berghammer, und alle sahen hoch. »Bauer ist wieder bei Bewusstsein.« Mona schloss die Augen. Ein leichter Schwindel überkam sie. »Er ist über dem Berg, sagen die Ärzte, aber wir dürfen ihn derzeit noch nicht befragen. Mona, alles okay?«
    »Ja.« Ein schwerer Stein fiel ihr vom Herzen. Dieser Tag fing gut an, so gut wie schon lange keiner mehr.
    Als Mona eine Stunde später in ihr Büro kam, saß dort eine Frau mit kurzen, brennend roten Haaren. Sie trug enge Jeans, einen breiten, fransenbesetzten Ledergürtel und darüber eine dicke, fast knielange graue Strickjacke. Ihr Gesicht war sehr hell geschminkt mit einem dunklen, scharf gezeichneten Mund.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Mona.
    Merkwürdigerweise begann ihr Herz zu klopfen, auf eine ganz ähnliche Weise wie vor zwei Tagen im Krankenhaus, als ihr der Arzt gesagt hatte, wie schlimm es um Bauer stand. Dabei war an dieser Frau, bis auf die extrem gefärbten Haare, nichts sichtbar Besonderes oder Beängstigendes. Sie war etwa dreißig Jahre alt, sehr blass, saß mit krummem Rücken auf dem Besucherstuhl und wirkte, als hätte es sie Überwindung gekostet, hierher zu kommen.
    »Was wollen Sie?«, fragte Mona erneut, und wieder überfiel sie dieses merkwürdige Gefühl. Bevor die Frau antwortete, ahnte - nein:
wusste
- sie, dass jetzt der eine entscheidende Hinweis kam.
Sie hat etwas damit zu tun. Aber was?
    »Ich bin eine Hexe«, sagte die Frau mit heiserer, ausdrucksloser Stimme. Mona setzte sich hin. Das Gefühl war mit einem Schlag vorbei; selbst ernannte Hexen kamen öfter im Dezernat vorbei, um ihre Dienste anzubieten. Sie hatte sich geirrt, manchmal war die Hoffnung eben stärker als die Vernunft. Als Erstes würde sie in Erfahrung bringen müssen, wer der Frau erlaubt hatte, sich in ihr Büro zu setzen, noch dazu während ihrer Abwesenheit.
    »Und?«, fragte sie trocken. »Hier gibt's nichts zu verzaubern.«
    Die Rothaarige ließ sich nicht beirren. »Ich kann Dinge sehen, die Sie nicht sehen können. Ich kann Verschwundene finden und so weiter.«
    Mona dachte, wie oft einen scheinbar untrügliche Ahnungen und Visionen täuschen konnten. Deshalb hielt sie auch so wenig von der so genannten Intuition, die in ihrem Beruf angeblich so wichtig war. Intuition war das letzte Mittel, Intuition musste herhalten, wenn einem gar nichts Substanzielles mehr einfiel.
    »Warum erzählen Sie mir das?« Sie musste Theresa Leitner, Pfarrer Grimm und die Schriftstellerin Carola Stein anrufen und neue Termine mit ihnen vereinbaren. Manchmal brachte es Erkenntnisse, wenn man alte Zeugen in einem gewissen zeitlichen Abstand ein zweites Mal vernahm. Es handelte sich dabei um ein Geduldsspiel mit ungewissem Ausgang. Es kostete Zeit, ein bis zwei weitere Nachmittage mindestens, und vielleicht kam nichts dabei heraus, aber sie musste es riskieren. Sobald sie diese Frau draußen hatte.
    »Ich habe etwas gesehen, das für Sie interessant sein könnte«, sagte die Rothaarige. Sie zündete sich eine Zigarette an, ohne zu fragen, ob sie hier rauchen durfte. Mona stellte fest, dass sie auffallend helle Augen hatte. Sie waren mit breiten Kajalstrichen betont, und die Wimpern waren kräftig getuscht.
    »Danke, wir sind nicht interessiert. Wir

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