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Unvermeidlich

Unvermeidlich

Titel: Unvermeidlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Hinz
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erwischen sollte, wartet mit den Händen in den Hosentaschen auf dem Bürgersteig. Steffen, der auf Alex‘ Seite des Autos steht, hat noch nicht ganz begriffen, was hier passiert. Doch als er schließlich erkennt, dass ich die Frau bin, die sich gerade an Alex gerieben hat, entfaltet sich vor meinen Augen eine hässliche Szene, die mich in meiner Scham völlig lähmt.
    „Mein eigener Bruder fickt die Mutter meiner Tochter“, spuckt er Alex voller Abscheu entgegen. „Eigentlich sollte es mich nicht überraschen. Du hast dich ja immer schon gerne um meine Missgeschicke gekümmert.“
    Ich dachte, er könnte mich nicht mehr verletzen, aber das ist ein Schlag in die Magengrube.
    Alex‘ wunderschönes, warmherziges Gesicht verzieht sich zu einer hasserfüllten Grimasse. So habe ich ihn noch nie gesehen. Bis jetzt rührt er sich nicht, doch er ist angespannt wie ein Raubtier auf dem Sprung.
    „Die Mutter deiner Tochter, das hast du ganz richtig erkannt. Dennoch hast du nicht mehr Respekt für sie übrig als für den Dreck unter deinem Schuh.“ Seine Worte sind leise und von einer Kälte getränkt, die mir einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Ich bin nicht imstande mich zu bewegen und halte mich krampfhaft an der offenen Autotür fest. Die Tränen in meinen Augenwinkeln drohen überzulaufen, doch ich kämpfe dagegen an.
    „Wo ist denn unser Kind?“, wendet sich Steffen an mich. „Wohin schiebst du sie ab, wenn du mal wieder für irgendwelche dahergelaufenen Typen die Beine breitmachst?“ Ruckartig fliegt sein Gesicht zur Seite. Alex hat ihm eine saftige Ohrfeige verpasst. Den jetzt aufkeimenden Schluchzer kann ich nicht zurückhalten. Erst war es die Scham, doch jetzt lähmt mich die Angst. Nicht vor Alex, sondern davor, dass Steffen zurückschlagen könnte, und dass die beiden in eine Prügelei geraten, in die ich nicht eingreifen kann, ohne mich selbst zu verletzten.
    Doch Steffens Reaktion gleicht der eines trotzigen kleinen Jungen. Zugegeben, Alex hätte ihn mit der Faust schlagen können, stattdessen hat er ihn wie den Waschlappen abgewatscht, der er ist.
    „Du betrügst mich auf eine so eklige Art und Weise und dann besitzt du auch noch die Frechheit, mich zu schlagen“, sagt er mit weinerlicher Stimme und macht zwei Schritte zurück. Als hätte er Angst, sich noch eine zu fangen. Er hat nichts verstanden, es geht immer nur um ihn. Wenn er mich auf so üble Weise verletzt, habe ich das einfach zu schlucken. Und wenn ich es nicht tue, dann sind selbstverständlich alle anderen schuld.
    Mit einer Hand an seiner Wange zeigt er abwechselnd auf Alex und mich und ringt auf peinliche Weise um Worte. Er sollte sich gut überlegen, was er als Nächstes sagt, denn Alex‘ Anspannung hat keinen Deut nachgelassen. Nur eine falsche Äußerung und er geht wieder auf ihn los.
    „Das hat ein Nachspiel“, faucht er mir entgegen. Wie ein bockiges Kleinkind dreht er sich auf dem Absatz um und stampft davon.
    Ich könnte über sein Verhalten lachen, wenn ich nicht am ganzen Körper zittern würde.
    „Ela? … Ela? … Daniela!“
    Ich höre ihn erst, als er direkt neben mir steht. Vorsichtig löst er meine Hand von der Autotür. Obwohl sein Bruder weiterhin in Sichtweite ist, legt er seine Arme um mich.
    „Es tut mir leid“, flüstert er und lässt mich einfach an seiner Schulter weinen. Steffen hatte immer ein Talent, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber im Zusammenhang damit, dass er Alex und mich erwischt hat, macht es das nur noch schlimmer.
    „Ist er weg?“, schluchze ich an seinem Hals, wobei ich kaum glaube, dass er nach dieser Szene noch mal zurückkommt.
    „Schon längst. Komm, wir gehen rein. Du zitterst.“
     
    In seiner Wohnung platziert Alex mich auf dem Sofa und legt mir eine Decke um die Schultern.
    „Tee oder Wein?“, fragt er und küsst mich auf den Scheitel.
    „Beides.“
    Über seine besorgte Miene zieht ein Anflug von Schuldbewusstsein, auch wenn es kaum durch die unterdrückte Wut durchdringt. „Ich hätte das nicht tun sollen. Du weißt, dass ich so nicht bin. Aber Ela, ich kann nicht zulassen, dass er so mit dir spricht.“ Alex ist der friedfertigste Mensch, den ich kenne und lässt sich selbst nach der langen Zeit von den Sticheleien meines großen Bruders nicht aus der Ruhe bringen. Sein eigener Bruder ist da allerdings eine ganz andere Geschichte.
    Ich nehme seine Hand und ziehe ihn zu mir hinunter, bis wir auf Augenhöhe sind. „Das weiß ich, Alex. Es ist Steffen.

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