Unwiderstehlich untot
tatsächlich. Ich hörte, wie ganz vorn leistungsstarke Motoren ansprangen, und schon wenige Sekunden später roch es nach Auspuffgasen.
»Welchen Wagen nehmen Sie?«, fragte ich Caleb. »Den letzten.«
»Dann bleibe ich bei Ihnen«, verkündete ich, verschränkte die Arme und lehnte mich an die Wand.
»Sie haben gesagt, dass Sie gehen würden!«, erinnerte mich Tremaine und griff nach meinem Ellenbogen.
»Das habe ich nie gesagt. Und nehmen Sie die Pfoten weg.«
Tremaine sah mich hilflos an und wandte sich dann an Caleb. »Vertreten Sie mich«, sagte der ältere Kriegsmagier. Tremaine eilte zum Tunnel und erreichte ihn gerade rechtzeitig, um einer Frau in mittleren Jahren zu helfen, die ihm durch die Tränen in ihrem Gesicht ein strahlendes Lächeln schickte. Caleb führte mich an den Wagen entlang und in eine Nische. »Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«, fragte er.
»Ich verlasse diesen Ort mit Ihnen und Pritkin«, wiederholte ich und gab meiner Stimme einen möglichst festen Klang. Einfach war es nicht. Am liebsten wäre ich herumgesprungen und hätte alle angeschrien, dass sie verdammt noch mal mit dem Flennen aufhören und sich beeilen sollten! Ich wusste, dass es nicht helfen würde, dass die Leute bereits so schnell machten, wie sie konnten, und dass alles noch viel langsamer gehen würde, wenn man sie in Panik versetzte. Aber es fiel mir wirklich schwer, tatenlos dazustehen.
»Sie sind die Pythia«, sagte Caleb. »Sie dürfen hier nicht sterben.«
»Ich bin die Pythia?« Ich blinzelte langsam. »Seit wann? Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war ich nur eine Prätendentin, die Sie gejagt haben.«
»Sie wissen, was ich meine.«
»Nein«, entgegnete ich. »Nein, das weiß ich nicht.«
Caleb hob eine fleischige Hand und rieb sich den Nacken, als hätte er Kopfschmerzen. »Vielleicht gab es so etwas wie… mangelhafte Kommunikation… was Sie betrifft.«
In den letzten vierundzwanzig Stunden war ich einige Male zu oft nur knapp davongekommen, und die jüngsten Ereignisse bescherten mir neue Ängste und Sorgen. Wie zum Beispiel den Gedanken, dass es Pritkin nicht rechtzeitig aus der Todesfalle schaffte, in die ich ihn gezogen hatte. Oder dass seine kleine Ansprache plötzlich nach einem Lebewohl klang. Und dass ich ihm nicht helfen konnte, so erschöpft wie ich war.
Ich brauchte jemanden, an dem ich meinen ganzen Frust auslassen konnte, und da kam mir Caleb gelegen.
»Mangelhafte Kommunikation?«, wiederholte ich zornig. »Was meinen Sie damit? Vielleicht die Aufforderung, mich gefangen zu nehmen? Oder den Befehl, mich zu erschießen? Oder geht es bei der ›mangelhaften Kommunikation‹ vielleicht um das auf mich ausgesetzte Kopfgeld?«
Diesmal blinzelte Caleb. »Wenn ein Fehler gemacht wurde, haben Sie allen Grund zur Klage«, sagte er. »Aber niemandem ist geholfen, wenn Sie sterben, um Ihrem Standpunkt Nachdruck zu verleihen. Pritkin hat recht. Ein Krieg findet statt, und wir brauchen eine Pythia. Wenn Sie die Pythia sind, tragen Sie Verantwortung.«
Ich starrte ihn an. Weil das die längste Rede war, die ich bisher von ihm gehört hatte, und weil sie sehr nach den Worten klang, die ich erst kürzlich an Agnes gerichtet hatte. Ich tröstete mich ein wenig mit dem Gedanken, dass sie bei ihr auch nicht viel genützt hatten.
»Ich habe nicht vor zu sterben«, erwiderte ich. »Ich kann springen, wenn es nötig ist. Sollten Sie nicht jemanden in den Wagen setzen, dem diese Möglichkeit fehlt?«
Caleb kniff die Augen zusammen und musterte mich. »Sie können springen?«
»Ja.«
Er wirkte nicht besonders glücklich, nickte aber. »Na schön. Bleiben Sie hier. Ich bin gleich wieder da.«
»Ich würde mich lieber nützlich machen.«
»Sie könnten dafür sorgen, dass sich bei den einzelnen Wagen jemand ans Steuer setzt, der fahren kann. Große Fahrkünste sind nicht erforderlich – es geht geradeaus, nach draußen. Aber der Mann oder die Frau am Steuer muss mit einer manuellen Schaltung klarkommen.«
»Verstanden.«
Caleb kehrte zum Tunnel zurück. Tremaine und ich schnappten uns die von Staub bedeckten Gefangenen und stopften sie in die Wagen. Die Fahrzeugkolonne geriet in Bewegung und wurde schneller, bildete ein Durcheinander aus Farben und Lärm, als die Autos durch einen Tunnel fuhren, der kaum breiter war als einige von ihnen. Ich vermutete, dass die Chauffeure der Konsulin Vampire waren; bei ihren guten Reflexen spielte die Enge keine Rolle. Doch einige dieser Fahrer waren nicht
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