Unwiderstehliche Küsse: Roman (German Edition)
vorüberging.
Dann gab es die Vorstellung, wie sie sich in einem prächtigen Ballsaal Londons mitten beim Tanz umdrehte und ihm plötzlich gegenüberstand. Während er sie sehnsuchtsvoll anschaute, betrachtete sie ihn aus zusammengekniffenen Augen, als versuchte sie, sich zu erinnern, woher sie ihn kannte. »Ach ja. Jetzt erinnere ich mich an Sie«, sagte sie schließlich und klopfte ihm verspielt mit dem Fächer auf den Arm. »Waren Sie nicht dieser schreckliche Junge, der mir als kleines Mädchen auf Schritt und Tritt nachgelaufen ist?« Dann wandte sie sich wieder ab und bot ihren Arm dem nächsten Tanzpartner, während er ihr hilflos hinterherstarrte und sein Herz in tausend Stücke zerbrach.
Aber am liebsten war ihr stets das Szenario gewesen, in dem sie ins Krankenhaus bestellt wurde, um seine letzte Bitte zu erfüllen, ihr Gesicht noch einmal zu sehen, bevor er der Franzosenkrankheit erlag. In dieser Vorstellung trat sie ganz in Weiß gekleidet an sein Lager, und der Lampenschein fiel milde auf ihr Gesicht und ihr Haar. Sie hielt seine Hand – natürlich ohne die Handschuhe auszuziehen –, während er ihr beteuerte, wie leid ihm alles täte, und sie um Verzeihung bat. In genau dem Augenblick, in dem er seinen letzten Atemzug tat, lehnte sie sich über ihn und flüsterte ihm zärtlich ins Ohr: »Richte dem Teufel meine Grüße aus, Captain Burke.«
Diese rachsüchtigen Fantasien waren die Folgen des gebrochenen Herzens eines jungen Mädchens und standen der reifen jungen Frau, die Clarinda geworden war, nicht gut zu Gesicht. Eine Frau, die viele Jahre lang Zeit gehabt hatte, ihre kleinmütigen Gedanken zu zähmen.
Was das boshafte Aufflackern von Befriedigung nicht verhinderte, die sie empfand, als sie vor den Augen von Ashton Burke von den muskulösen Armen eines verstörend gut aussehenden marokkanischen Sultans gehalten wurde und wenig mehr am Leib trug als mehrere Schichten verlockender Schleier. Selbst ihre rege Fantasie war nicht imstande gewesen, so ein unwahrscheinliches und köstliches Szenario zu ersinnen.
Als ihre Blicke sich trafen, kniff Ash seine goldgefleckten Augen in dem Schatten unter seiner Hutkrempe zusammen, ohne sich auch nur einen Anflug von Bedauern oder Sehnsucht anmerken zu lassen. Ganz im Gegenteil, er sah viel eher so aus, als wollte er über ihren Körper hinwegschreiten, während sie ihren letzten Atemzug keuchend in der Gosse lag. Oder sie in einem überfüllten Ballsaal vor den neugierigen Blicken der Umstehenden einfach schneiden.
Sie musste mehr als einmal blinzeln, um das Bild des wunderschönen Jungen zu vertreiben, an den sie sich aus ihrer Jugend erinnerte. Der abgebrühte Fremde, der jetzt vor ihr stand, war jeder Zoll ein Mann. Ein Mann, der aussah, als sei er eher in einem schmutzigen Saloon im Wilden Westen zu Hause als in einem eleganten Londoner Salon. Wind, Sand und die Zeit hatten alle Spuren von Jugend und Unerfahrenheit weggewischt, sodass er jetzt hart, zäh und unendlich gefährlicher wirkte als der Junge, der vor all den Jahren aus ihrem Leben verschwunden war. Sand klebte auf seiner sonnengebräunten Haut und schimmerte wie Goldstaub auf den Bartstoppeln auf Wangen und Kinn.
Clarinda hatte zwar versucht, Poppy davon zu überzeugen, dass der Zeichner des Skandalblättchens übertrieben und ihm geschmeichelt haben musste, aber insgeheim hatte sie schon befürchtet, dass er ihm nicht hatte gerecht werden können. Eine dünne, schräg verlaufende Narbe, die sie nicht kannte, die aber alt war, störte die Perfektion eines kräftigen Kinns, das weder zu spitz noch zu rechteckig war. Seine Nase war nicht mehr makellos gerade, sondern zeigte nun kaum merklich nach rechts. Es fiel einem nur dann auf, wenn man früher Stunden über Stunden damit verbracht hatte, verliebt alle Linien seiner Züge mit den Fingerspitzen nachzufahren. Die Falten zu beiden Seiten seines Mundes waren tiefer geworden, sodass sie sich fragte, ob sein Grübchen am Ende für immer auf einem Schlachtfeld irgendwo zwischen England und Marokko verschwunden war.
Seltsamerweise machten ihn diese Makel aber höchstens noch anziehender. Sie sah das Gesicht eines Mannes, der ein hartes Leben geführt und hart gekämpft hatte. Mehr als alles andere weckte das in ihr das Verlangen, ihren Mund zärtlich auf die Narbe an seinem Kinn zu pressen, damit ihre Lippen sich auch an dieses Gefühl erinnern konnten.
Sie holte tief Luft, um das Rauschen in ihren Ohren zu vertreiben, das wilde Flattern ihres
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