Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
Niedergang der Kommune liefert er die ungarischen Kommunisten pflichteifrig der Justiz aus. Dann quittiert er den Dienst und eröffnet ein Detektivbüro. Fast drei Jahrzehnte schnüffelt er in Bettnischen herum und verdient ein Vermögen. Er kauft sich ein schönes Haus, einen Garten, Grundbesitz in Leányfalu. Er ist volksdeutscher Abstammung, kommt aus der Batschka . Ein Trumm von einem Mannsbild, am ganzen Körper schwarz behaart. Seine zweite Frau stammt aus dem Komitat Somogy, ebenfalls aus einer deutschen Familie, sie ist Sängerin und trat in Opernhäusern der deutschen Provinz auf. Beide sind überzeugte, wilde Nazis. Keine SS-Truppe ist durchs Dorf gezogen, ohne dass die Offiziere von ihnen nicht zum Mittagessen eingeladen wurden. Unter dem Sztójay-Szálasi-Regime tritt der Mann wieder in den Polizeidienst ein. Nach dem Abzug der Deutschen tut er sich mit dem hiesigen stellvertretenden Gemeindesekretär zusammen – der ein ebenso korrupter und obskurer Mensch ist wie er selbst –, und ernennt sich zum »Leiter der Ordnungspolizei«. (Natürlich verleihen er und auch der stellvertretende Gemeindesekretär sich ohne Zustimmung des Innenministeriums Amt und Rang, Zuständigkeiten.) Sie empfangen die anrückenden Russen; die beiden Männer beginnen ihre entschlossene, umsichtige Selbstrettung und bereichern sich auch noch. Im vertrauten Kreis beschimpfen sie mit Schaum vor dem Mund immer noch die Juden, die Russen, die Sozialisten und Kommunisten und weinen den Deutschen nach. (Der Schwiegersohn des Exprivatdetektivs kämpft bis zum letzten Augenblick an der Seite der Truppen Szálasis in Budapest, er hat nicht genug moralischen Mut, um zu desertieren, doch er vertraut auf die Zukunft, weil er »Juden gerettet hat« – und in der Tat, der Schwiegervater und der Schwiegersohn haben aus Berechnung, aus Vorsicht, in den Zeiten Sztójays einem oder zwei Juden geholfen. Das hat fast jeder von diesen Leuten getan; unter besonderer Beachtung der versteckten jüdischen Habe, die am Ende vielleicht doch nicht zurückgegeben werden muss …) Vor der Öffentlichkeit schließen sie begeistert Freundschaft mit den Russen; alle werden zur Arbeit bestellt, nur sie als »Amtspersonen« arbeiten nicht; der Sekretär und der Leiter der Ordnungspolizei klauen, was sie ergatten können; sie verköstigen die russischen Offiziere; übergeben der GPU die Pfeilkreuzler und so weiter. Dieses frohlockende Anbiedern beobachte ich schon den dritten Monat. Sie hoffen immer noch, dass die Deutschen zurückkommen; trotzdem treten sie jetzt der Kleinlandwirtepartei bei, weil sie dann Saatgut bekommen können. Sie geben den Russen die Adressen der hiesigen »Judenlager«, in einem Atemzug aber auch die Kuh-, Ochsen-, Ferkel-, Kartoffel-, Getreideadressen der armen Bauern; sie selbst jedoch haben jedes Stück Vieh behalten, sie organisierten sich sogar noch weiteres dazu; der Privatdetektiv liefert die Begründung, zum Beispiel, es sei ihm gelungen, »zwei arme Pferde vor dem Hungertod zu retten«. Keiner kann zu den Russen vordringen, weil diese zwei Nazis im Wege stehen; sie treiben sich dauernd in der Nähe der Offiziere herum, stopfen sich die Taschen voll mit allem Möglichen, was bei den Requirierungen der Russen für sie abfällt. Beim Ausräumen des Frachtkahns arbeiten sie brav in die eigenen Taschen, auf dem Leiterwagen holen sie vom Frachtkahn »für die Gemeinde« Mehl, Tafelbutter, Lebkuchen, Konserven, Lampenöl; doch dann, als wäre nichts gewesen, bekommt die Gemeinde nichts, die Beute gerät in Vergessenheit und befindet sich immer noch in den Abstellkammern der zwei Ganoven. Solange es keine ungarische Verwaltung gibt, haben sie wegen der Unwissenheit der Besatzer die Macht. Und dann? Der Volksgerichtshof wäre ein zu schönes Ende für die beiden; es ist einfacher, sie in die Jauchegrube zu werfen.
Der Detektiv hat sich vor Angst einen schwarzen Bart wachsen lassen; er ist sehr weinerlich, und in Anfällen von Gefühlsseligkeit küsst er jeden. Er ist ein Musterbeispiel der ungarischen Korruption und Reaktion.
Ein anderer Mensch. Maurer. Er ist ein Meister seines Faches; baut geschmackvolle Häuser, gewissermaßen allein; er ist vierzig und ein paar Jahre alt; ein Tausendsassa. Verheiratet, hat mehrere Kinder. Im Sommer fängt er sich mit einem Zimmerkätzchen etwas an, verlässt seine Frau, seine Kinder, sie leben im Nachbardorf; er zieht hierher in eine herrliche kleine Villa. Spott. Dann Ruhe. Der Mann ist
Weitere Kostenlose Bücher