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Titel: Upload Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Ernst?«
    »Hör mal, ich würde sie mir ja gern selber holen, aber ich kann mich nicht einmal aufsetzen, gehen schon gar nicht. Ich muss die Stelle kühlen, bevor sich alles entzündet.«
    »Wie ist das passiert?«
    »So was passiert manchmal einfach. Tai-Chi hilft. Bitte, ich brauche Eis.«
    Eine halbe Stunde später hatte er sich vorsichtig so ausgestreckt, dass er mit angezogenen Knien und geraden Hüften dalag. In der Hoffnung, der Krampf werde sich auf diese Weise lösen, atmete er regelmäßig tief durch.
    »Was jetzt? Soll ich einen Arzt holen?«
    »Er würde mir nur irgendein Schmerzmittel geben und mir sagen, dass ich abnehmen soll. Wahrscheinlich werde ich mich eine Woche damit he-rumschlagen. Scheiße. Fede wird mich umbringen, ich soll Freitag nämlich eigentlich nach Boston fliegen.«
    »Nach Boston? Wozu? Und für wie lange?«

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    Art grub die Fäuste ins Bettlaken. Er hatte ihr noch gar nicht von Boston erzählen wollen – er und Fede mussten sich erst noch eine Tarngeschichte ausdenken. »Wegen Besprechungen. Nur für zwei oder drei Tage. Ich wollte auch ein bisschen Freizeit einplanen und meine Familie besuchen. Elender Mist. Gibst du mir bitte mal mein Komset?«
    »Willst du jetzt etwa arbeiten?«
    »Ich werde Fede eine Nachricht schicken und ein Muskelrelaxans bestellen. Am Bahnhof Pad-dington gibt’s eine Apotheke, die rund um die Uhr geöffnet ist und auch ausliefert.«
    »Ich mach das schon, leg du dich hin.«
    Und so fing es an. Schlimm genug, wenn man sich nicht rühren kann, hilflos und schwach ist wie ein neugeborenes Kätzchen. Aber noch viel schlimmer ist es, auf Gedeih und Verderb einem anderen Menschen ausgeliefert zu sein und jedes Mal begründen zu müssen, warum man das Komset benutzen oder durch die Wohnung krabbeln will. Lieber Gott! »Reich mir bitte einfach mein Komset. Es geht schneller, wenn ich’s selber mache, als ich wenn ich’s dir erkläre.«
    Nach sechsunddreißig Stunden war er so weit, dass er am liebsten jedem, der mit ihm zu kommunizieren versuchte, den Hals umgedreht hätte.
    Er hatte Linda aus der Wohnung gescheucht, war auf dem Fußboden zur Küche gerobbt und hatte 191
    sich aus Kissen und Sofapolstern mühsam ein Nest gebaut, das nur wenige Schritte vom Kühlschrank, von den Schmerzmitteln und der Toilette entfernt war. Seine Vermieterin – eine unfreundliche Chinesin, die früher in Hongkong nach eigenen Angaben in Reichtümern geschwelgt hatte und sich mit ihrem sozialen Abstieg hier nicht ab-finden konnte – war wenigstens so nett, mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Lebensmittel zu be-stätigen, die er sich von verschiedenen Einzelhändlern in London kommen ließ.
    Er zog sich auch noch eine schlimme Verzer-rung in Hals und Schultern zu, weil er auf dem Rücken liegend arbeitete und dabei das Komset über den Kopf hielt. Die Schmerzmittel machten seine Arme schwer und grummelten in seinen Eingeweiden. Mindestens zweimal pro Stunde wälzte er sich herum, um eine angenehmere Haltung zu finden, und vergaß dabei die empfindlichen Stellen am Rücken. Jedes Mal kreischte er genauso auf wie seine lädierten Nerven.
    Nach zwei Tagen war er nur noch ein Schatten seiner selbst, ein verlottertes, unrasiertes Wesen, das in der winzigen Küche hauste. Sein Nest war grau von Schweiß und völlig versifft, weil er mit den Fertig-Currys herumgekleckert hatte. Er vermutete, dass er viel zu viele Medikamente schluckte, denn er vergaß immer wieder, ob er seine Tabletten schon genommen hatte, und warf 192
    dann sicherheitshalber eine weitere Dosis ein. In einem seiner wacheren Momente erkannte er, dass es ein ewiger Teufelskreis war: Je mehr Tabletten er schluckte, desto schlechter konnte er beurteilen, ob er seine Tabletten bereits genommen hatte, also schluckte er noch mehr. Er grübelte ziellos über dieses Problem nach, dachte an eine Tablettendose mit Zeitschaltuhr, die sich in Gang setzte, wenn man den Deckel aufmachte, und ein Warnsignal ertönen ließ, sobald man den Deckel vor Ablauf der eingestellten Zeitspanne erneut öffnete. Als er nach seinem Komset suchte, weil er sich ein paar Notizen machen wollte, fand er es schließlich unter seinen Knöcheln. Die Batterien waren leer und es klebte vor Schweiß. Seit mindestens einem Jahrzehnt hatte er sein Komset nicht mehr leerlaufen lassen.
    Am vierten Tag ließ seine Wirtin Linda ins Haus, während er unruhig schlief, ein Kissen über dem Gesicht, weil das Licht vom Fenster ihn blendete. Gestern – oder war es

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