Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
Sie wollten Sirhan loswerden. Aber jetzt denke ich, dass sie vielleicht gar nicht gekommen wären, wenn ich ihnen nicht von der Pfarrkirche erzählt hätte. Vielleicht hätten sie dann auch James gar nicht entführt. Das ist alles meine Schuld.« Jude schloss die Finger über der silbernen Klinge und sah zu, wie seine Handfläche durch die Berührung verbrannt wurde.
»Jude, tu das nicht«, sagte ich.
Der Wolf in meinem Kopf wollte, dass ich auf meinen Bruder wütend wurde und ihn dafür verantwortlich machte, dass die Shadow Kings überhaupt jemals in unser Leben getreten waren. Doch ich konnte es nicht. Daniel hatte recht: Jetzt der Stimme des Wolfs nachzugeben, war vollkommen falsch. Seit Mittwoch war es mir gelungen, den Wolf fast völlig unter Kontrolle zu halten. Ich war fähig gewesen, zu verzeihen und meine Wut beiseitezuschieben. Es hatte sich so befreiend angefühlt, den Wolf nicht länger in meinem Kopf zu spüren. Und jetzt wollte ich ihm unter keinen Umständen wieder Platz machen. Ich weigerte mich schlichtweg, das Biest in mir noch länger gewähren zu lassen.
Ich löste mich aus Daniels Umarmung und ging zu meinem Bruder. »Du konntest gar nicht wissen, was sie tun würden. Und immerhin weißt du jetzt, dass du nicht mehr mit ihnen gehen wolltest.«
»Und was viel wichtiger ist«, sagte Daniel. »Du kennst Calebs E-Mail-Adresse. Wir können ihn darüber kontaktieren. Vielleicht können wir ja ein Lösegeld für James anbieten …«
Jude schüttelte den Kopf. Zu meiner Erleichterung legte er das Messer weg und fasste mit der unverletzten Hand in seine Jackentasche. »Ich hab mir dein Handy ausgeliehen«, sagte er zu April und sah sie reumütig an.
Sie erwiderte seinen Blick nicht, und ich überlegte, ob sie wohl darüber nachdachte, dass Jude innerhalb kürzester Zeit zweimal ihr Vertrauen missbraucht hatte.
»Ich habe Caleb bereits eine E-Mail geschickt. Das hier kam zurück.« Jude reichte Daniel das Handy.
Daniel las die Nachricht laut vor. Es war dieselbe, die die SKs uns schon durch Jude hatten mitteilen lassen: »Sirhan ist tot. Das Todesheulen ist vorüber. Die Zeremonie findet morgen statt. Du wirst kommen. Du wirst kämpfen. Die Shadow Kings werden das Blut von deiner Kehle lecken. Wir werden das Kind mitbringen. Du wirst kämpfen, oder er stirbt.«
Von der Treppe hörte ich plötzlich einen schrillen Aufschrei. Meine Mutter stand auf dem Treppenabsatz. Das Betäubungsgas hatte ihr anscheinend große Übelkeit verursacht, und sie musste sich ins Bett gelegt haben, nachdem wir zu unserer Suchaktion aufgebrochen waren. Erst in diesem Moment hörte sie, was mit James passiert war.
»Ich hab’s mit einer weiteren E-Mail versucht«, sagte Jude, »aber die Adresse war nicht mehr erreichbar.«
»Aber was ist denn eigentlich der springende Punkt bei dieser Nachricht?«, fragte Slade, der auf der untersten Treppenstufe saß. »Ist nicht sowieso klar, dass Daniel während der Zeremonie kämpfen wird? Wieso entführen sie das Baby und wollen Daniel damit in den Kampf zwingen? Er wird doch ohnehin da sein. Es muss noch etwas anderes dahinterstecken.«
»Das ist sein Plan B«, sagte Brent. »Caleb hat immer einen Plan B. Er ist total paranoid und braucht immer etwas, worauf er ausweichen kann.«
»Ja, aber warum fordert er unseren Kampfeinsatz, wenn schon klar ist, dass wir kämpfen werden? Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, dass ich in der Zeremonie kämpfen werde«, sagte ich und richtete mich gerade auf. »Jude sollte mich gar nicht erstechen. Er hat versucht, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Nachricht war für mich gedacht. Caleb will, dass ich am Kampf teilnehme. Und genau das werde ich tun.«
»Kommt nicht infrage«, sagte Talbot. »Das darfst du nicht machen.«
»Aber wieso will er, dass du kämpfst?«, fragte April.
»Caleb hat eine besondere Vorliebe für Grace«, sagte Talbot angewidert.
Ich starrte ihn an. »Du etwa nicht?«
Er hielt meinem Blick stand. »Wenn Caleb dich in diesem Kampf haben will, dann solltest du dich so weit wie möglich davon fernhalten. Caleb …«
»Nein«, rief ich. »Er sagte, ich soll kämpfen, oder James wird sterben. Und das heißt, dass ich kämpfen werde. Wenn Daniel an der Zeremonie teilnimmt, werde ich an seiner Seite sein. Aber das hätte ich wahrscheinlich sowieso getan, egal was Caleb will oder nicht. Ich werde kämpfen, und niemand wird mich davon abhalten. Ich lasse mich auf keinen Fall zur Wendy machen.«
»Zur Wendy? Was
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