Urod - Die Quelle (German Edition)
sich noch nicht sonderlich erwärmt hatte. Bereits nach einer halben Stunde fühlten sie sich ausgelaugt und matt. Die Frauen schauten sich nach allen Seiten um, falls Urods auftauchen sollten, während die Männer weiter gruben. Plötzlich hörte Drago unvermittelt mit der Arbeit auf und hielt seinen Kopf hoch, als würde er mit einer Art sechsten Sinn eine Gefahr wahrnehmen. Dann begann er wild mit den Armen herumzufuchteln. Hastig lotste er die anderen von der Quelle weg. Miles wollte sie wieder aneinander binden, doch Drago riss ihm das Seil aus der Hand und schüttelte heftig den Kopf: Keine Zeit für so etwas! Er eilte allen voran das Plateau hinab und sprintete zum Fels-Korridor, sich immer wieder umsehend, ob die anderen auf folgten.
Was auch alle taten. Bis auf Enza. Niemand bemerkte, dass sie sich hatte zurückfallen lassen und gar nicht erst zu der Passage gelangt war. Sie alle hasteten weiter, in der Annahme, jede Sekunde Opfer der Urods zu werden. Enza holte ihr Diktiergerät aus der Tasche und schaltete es ein. Sie ging ganz nah an den Spalt heran.
„ Ich befinde mich jetzt an der Quelle des Bösen. Auch wenn ich das Geräusch selbst nicht hören kann, so meine ich die Schallwellen doch irgendwie zu spüren, wenn ich ganz still halte. Wie starke Elektrizität, etwa bei einem herannahenden Gewitter im Gebirge oder einem Luftzug, der aber nicht kalt ist, sondern eher einer Art Druck gleicht. Die Quelle selber ist aber noch etwa 20 Meter entfernt, tief unten in einem Spalt. Ich kann nicht ganz genau erkennen, wie sie aussieht. Am ehesten aber lässt sie sich mit einer riesigen Muschel vergleichen oder einem geöffneten Mund, im dem sich leuchtenden Innereien befinden. Moment mal!“
Sie schaltete das Diktiergerät aus und legte sich auf den Bauch. Eine Wand des Felsens war sehr uneben und schien gute Möglichkeiten zu bieten, sich festzuhalten. Enza war der Meinung, dass auch ein wenig geübter Kletterer in der Lage wäre, ganz nach unten zu gelangen. Enza fackelte nicht lange. Sie drückte noch einmal kurz auf Aufnahme.
„ Ich werde jetzt versuchen, ganz nah an das Ding heranzukommen.“
Sie steckte sich das Gerät in die Hosentasche. Dann machte sie sich auf den Weg hinunter. Die ersten Meter ließen sich ganz leicht bewältigen. Zwar geriet sie ganz schön ins Schwitzen, aber sie kam gut voran und schneller als sie gehofft hatte. Sie erreichte einen Vorsprung, auf dem sie mit beiden Beinen stehen und ein wenig verschnaufen konnte. Der weitere Abstieg würde jedoch schwierig werden. Die Wand wurde zunehmend glatt und die Gefahr war groß, dass sie abstürzen würde. Enza zögerte. Sie besah sich den Abstiegsweg von allen Seiten, doch sie musste zugeben, dass es ohne die richtige Ausrüstung und Erfahrung unmöglich zu schaffen war. Ja, selbst dann wäre es kaum möglich, es bis ganz nach unten zu schaffen. Sie fluchte.
Die Quelle lag verdeckt im Halbdunkel. Von hier aus konnte sie noch weniger erkennen als von oben. Ihre ganze Aktion hatte rein gar nichts gebracht. Sie raufte sich das Haar und starrte auf das Ding herunter, das ihre Geliebte in ein Monster verwandelt hatte. Da lag es. So nah und doch unerreichbar. Einem plötzlichen Impuls folgend, griff Enza sich ans Ohr. Sie müsste nur den Pfropfen lösen und dann würde sie hören, was Nicole gehört hatte. Würde durchmachen, was sie sie durchgemacht hatte. Die gleichen guten und schlechten Erfahrungen machen bis zum bitteren Ende. Endlich würde sie ganz und gar verstehen können, was Nicole dazu getrieben hatte, sich selbst zu töten und warum sie es alleine tun musste. Endlich wären sie wieder vereint. Das Gefühl, ihr dadurch ein letztes Mal nahe sein zu können, war überwältigend. Sie strich ihr Haar hinter das Ohr und wollte es gerade von der Versiegelung befreien, als eine Hand sie festhielt. Erschrocken wirbelte sie herum, während literweise Adrenalin durch sie hindurchfloss. Urods – war alles, was sie denken konnte und ihre Hand glitt sofort zu Dragos Messer.
Doch dann erkannte sie Thomas. Er stand neben ihr auf dem Vorsprung und schüttele den Kopf: Tu es nicht! sagten seine Augen. Enza blickte nach unten zur Quelle. Mit einem Mal kam sie sich sehr dumm vor. Was war nur in sie gefahren? Was immer sich da unten befand, es übte eine gewaltige Macht aus, das wusste sie jetzt. Sie mussten es so schnell wie möglich zerstören. Sie drehte sich zu Thomas um und wies nach oben. Dann begannen sie gemeinsam den Aufstieg. Thomas
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