Urod - Die Quelle (German Edition)
ließ ihr den Vortritt. Und sie wusste, warum. Er wollte eingreifen, falls sie wieder versuchen sollte, ihre Ohrenstopfen zu entfernen. Enza konnte ihn verstehen. Sie würde es genauso machen. Und im Grunde war sie sogar erleichtert, dass sie Thomas als zweite Instanz hinter sich wusste, der zur Stelle wäre, falls sie erneut die Kontrolle verlieren würde.
Oben angelangt führte Thomas sie durch die Passage zurück, wo die anderen mit besorgten Gesichtern auf sie warteten. Als Thomas den rechten Daumen in die Höhe reckte, zum Zeichen, dass alles in Ordnung war, entspannten sich die Gesichtszüge der anderen etwas. Viola und Sebastian sahen Enza fragend an, sie wollten offensichtlich wissen, was passiert war. Enza winkte ab, nach dem Motto: Erkläre ich euch später! Auch Thomas schien nicht daran interessiert, sich zu dem Vorfall zu äußern, weder mimisch noch gestisch. Obwohl er ganz genau sehen konnte, wie sehr Sebastian und Viola darauf brannten, zu erfahren, warum Enza zurückgeblieben war, wobei Sebastian ungehalten dreinschaute, während Viola neugierig und besorgt zu sein schien. Drago und Miles hingegen beachteten die beiden kaum. Ihre Aufmerksamkeit galt etwas anderem.
Drago hatte entdeckt, dass eine der Bärenfallen aus ihrer Verankerung gelöst worden war. Drago untersuchte die Stelle und stieß auf Schleifspuren, die von der Falle weg führten. Miles war unterdessen damit beschäftig, sie alle wieder zusammenzubinden. Als er fertig war, winkte Drago den anderen zu, sie mögen ihm folgen.
Sie gingen den Spuren nach, die sie ein Stück um das Felsmassiv herum führten, wo der Wald dichter wurde. Dann endeten sie abrupt. Thomas erkannte, dass sie vor einem gut verborgenen Eingang zu einer Steinkaverne standen, die offenbar weder Miles noch Drago kannten. Ein überwältigender Geruch nach Verwesung und Moschus drang ihnen aus der Höhle entgegen. Es musste sich um den Zufluchtsort von einem oder mehrerer Urods handeln. Miles und Drago sahen einander fragend an. Sollten sie es wagen, alle zusammen in diese vorzudringen? Miles deutete auf die Studenten. Er war sich nicht sicher, ob sie der Sache gewachsen waren, doch Drago zuckte die Schultern. Sie waren hier, um Urods zu töten, und nun hatten sie die Gelegenheit dazu. Sebastian nahm ihnen die Entscheidung ab, indem er auf den Eingang der Höhle zu stapfte und die anderen dadurch mit sich zerrte. Drago hielt ihn auf und wies auf ihre Waffen, die sie bereithalten sollten. Dann band er sie voneinander los, damit sie beweglicher wären. Viola stand die Panik ins Gesicht geschrieben. Thomas nahm ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. Sie wusste, er würde alles auf der Welt tun, um sie zu beschützen. Doch das konnte sie nicht beruhigen. Im Gegenteil. Wenn es zum Äußersten käme und er sich für sie opferte, wozu sollte sie dann noch weiter leben? Sie packte die Axt, die sie zu ihrem Schutz bei sich trug, so fest, dass die Knöchel ihrer Hand weiß hervor traten. Der kalte Schweiß brach ihr aus, doch sie beschloss, zu tun, was immer nötig war. Wie Miles gesagt hatte, musste sie sich mental auf das einstimmen, was nun möglicherweise auf sie zukam. Sie musste bereit sein, zu töten. Dann würde es schon irgendwie klappen.
Drago ging als erster, dann folgten Sebastian, Miles, Enza und Viola. Thomas bildetet die Nachhut, um Viola, falls nötig, den Rücken frei zu halten.
Schon nach einer kurzen Strecke wurde der Höhlenzugang zwar breiter, aber so tief, dass sie sich auf alle Viere begeben mussten, um so durch den Gang zu kriechen. Enzas Beklemmung nahm rasant zu und dieses Mal war kein Ende zu erkennen, so dunkel und stickig war es in dem Gang. Sie rang nach Atem und hyperventilierte. Das Gefühl ersticken zu müssen, ergriff Besitz von ihr. Die Panik benebelte ihre Sinne. Alles verschwamm vor ihren Augen. Doch sie zwang sich weiter zu kriechen. Sie wusste, dass es genug Luft gab und sie wusste auch, dass sie nicht sterben würde. Jedenfalls nicht an Atemnot. Sie musste sich konzentrieren, musste lange, tiefe Atemzüge machen. Das würde sie wieder beruhigen, würde ihre Sinne schärfen. Sie versuchte ganz bewusst den Boden unter ihren Händen und Knien zu spüren. Die Beschaffenheit des Felsens, warm und trocken, sehr angenehm. Sie sah Miles vor sich und heftete ihren Blick auf seine Füße. Stück für Stück kamen sie voran. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber auch das entsprang nur ihrer Einbildung. Jetzt erst wurde ihr bewusst sie,
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