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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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Rock hochgezogen?«
    »Ich weiß nicht genau«, rief der Schornsteinfeger. Er hatte sich nach einem Fluchtweg umgesehen. Die Rinne führte offenbar an der Straße entlang ins Dorfzentrum. Wenn er es bis dorthin schaffte, würde er es vielleicht auch zu Valerias Häuschen schaffen. »Ist deine Frau die Dicke mit dem haarigen Arsch?«
    Die Männer oben lachten.
    »Ferenc!«, rief einer. »Der Zwerg kennt deine Frau!«
    Ferenc riss sich das Hemd vom Leib und wollte in die Rinne hinunterspringen, aber die anderen Männer hielten ihn zurück. Der Schornsteinfeger hörte sie streiten.
    »Versteht ihr, ich bring ihn um«, rief Ferenc. »Ich bring dich um, du Hohlkopf!«
    Ferenc spuckte in die Rinne. Er wirbelte mit dem Fuß Erde auf.
    »He, Schornsteinfeger«, rief einer der Männer. »Benimm dich. Du bist jetzt in großen Schwierigkeiten. Wenn Ferencs Frau dir wirklich ihre Schnurrhaare gezeigt hat, welche Farbe hatten die denn?«
    »Rattenbraun. Wie deine.«
    Die Männer lachten wieder.
    Der Schornsteinfeger musste kichern.
    »Wisst ihr, ihr seid sehr dumm«, sagte er.
    »Mag schon sein«, erwiderte Ferenc, »aber wir sind hier oben und du bist da unten.«
    »Nur zu wahr. Ich komm rauf. Ich geb auf.«
    Der Schornsteinfeger zog sich die Böschung hoch. Zum Rennen war er zu müde. Er kam kaum hinauf. Er fiel mit dem Gesicht in den Schlamm und schrabbte über Steine. Mit den Fingern zog er Grasklumpen heraus. Als er oben war, half man ihm auf die Beine.
    »Deine Witze sind gut.«
    »Danke. Leck mich am Arsch«, sagte der Schornsteinfeger.
    Eine Faust landete an seinem Kiefer. Wieder hagelten Schläge auf ihn nieder.
    Der Schornsteinfeger spuckte ihnen seine ausgeschlagenen Zähne vor die Füße und versuchte, mit großem Tamtam zu entkommen. Je mehr er es versuchte und je lauter er fluchte, desto gewalttätiger wurden die Männer. Sie prügel ten ihn windelweich. Fäuste prasselten auf seine Brust und seinen Rücken. Sie traten ihn mit den Füßen in den Bauch und in die Leisten und er kniete zusammengekauert, ohne sich verteidigen zu können.
    »Du bist sowieso kein richtiger Schornsteinfeger!«, ertönte eine Stimme. »Du hast und bringst kein Glück!«
    Die anderen stimmten zu und schlugen ihn noch mehr.
    »Du bist nicht freundlich!«
    Der Schornsteinfeger merkte, wie Hände seine Hosentaschen durchwühlten und seinen Ranzen schnappten. Er schlug um sich.
    »Seht euch das an! Er hat Geld wie Heu! Seht bloß mal!«
    Geldscheine quollen aus dem Ranzen. Die Männer sahen einander an und nahmen sich rasch, so viel sie konnten. Sie drehten seine Hosentaschen um und rissen alles aus seiner Tasche, bis das ganze gehortete Geld verschwunden war. Alles. Die gesamten zweihunderttausend Forint waren in Sekundenschnelle weg.
    »Du verschwindest besser aus unserem Dorf«, sagten sie nervös. »Solang du noch atmest. Du hast uns nur Ärger gebracht.«
    »Diebe!«, schrie der Schornsteinfeger und griff nach den Geldscheinen. »Gebt mir mein Geld zurück. Ich hab es mir verdient und dafür einiges auf mich genommen. Gebt es sofort zurück!«
    Der abgebrochene Flaschenhals lag vor ihren Füßen. Einer hob ihn auf und warf ihn angewidert und spöttisch grinsend die Böschung hinunter.

XII
     
    G ewalt kann man hören. Sie kennt viele Klänge: das Krachen der Knochen, das Geräusch herausspringender Gelenke, das Hervorsprudeln des Bluts, das Knacken der Wirbel, das Ächzen und Schreien. Sie zu erkennen ist kein Kunststück. Es sind zweifellos Klänge eines atavistischen Gedächtnisses, das seit der Steinzeit in der DNA gespeichert ist. Schließlich hörte eine Sippe an der Gewalt in der Ferne, ob sie kämpfen oder fliehen musste.
    Selbst in moderneren, zivilisierteren Epochen herrscht die Gewalt. Ihr Flüstern dringt über Meter hinweg durch die Wände in eine leise Werkstatt. In unserem Fall gelangten die lauten Schreie und Flüche, das Geräusch von Fäus ten , die auf Zähne und Muskeln eindroschen, unweigerlich bis in die Töpferwerkstatt. Als der Töpfer den Lärm wahrnahm, ließ er sofort alles liegen und stehen – er kehrte gerade voller Bedauern die Rübenscherben zusammen – und öffnete die Haustür. Draußen war es noch lauter, und er blickte sich in der Dunkelheit um. Im Mondlicht erspähte er einen Horde Schatten, die jemanden verprügelten. Sie standen ein Stück weiter unten auf der Straße und so nah an der steilen Böschung, dass er zusammenzuckte vor lauter Angst, sie könnten allesamt aus Versehen in die Rinne

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