Valley - Tal der Wächter
Klappe.« Sie trat einen Schritt auf ihn zu, damit sie nicht von der Schweineherde umgerannt wurde, die ein kleiner Junge mit einer Gerte über den Hof trieb. »Glaubst du wirklich, ich haue jetzt einfach ab?«, fragte sie. »Wie Leif es ursprünglich vorgeschlagen hat?«
»Ich rede nicht vom Abhauen. Aber du bist unser Gast. Du bist nicht verpflichtet...«
»Bin ich doch«, unterbrach ihn Aud. »Das ist ja wohl klar. Es ist genauso mein Kampf wie eurer.«
Hal verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie kommst du denn darauf?«
Auch Aud verschränkte die Arme. »Hord bedroht uns alle.Wenn er euch besiegt, ist niemand im ganzen Tal mehr vor ihm sicher. Stimmt’s oder hab ich recht?«
Hal verzog das Gesicht. »Na ja, wahrscheinlich hast du recht.«
»Darum ist Hord auch mein Feind und darum bleibe ich hier.« Sie grinste siegesgewiss.
»Bist du fertig?«, fragte Hal belustigt. »Dein Argument würde mich ja überzeugen, wenn du ein großer, bärtiger, muskelbepackter Kerl wärst, der mit dem Vorschlaghammer tüchtig austeilen kann. Wie die Dinge nun aber mal stehen, bist du reichlich überflüssig, wenn es zum Kampf kommt. Du wärst im Handumdrehen mausetot. Wenn du mit Gudny und dem übrigen Weibervolk in der Halle bleiben willst, meinetwegen. Dort gibt es bestimmt genug Kleinkinder, denen man die Windeln wechseln muss. Ich würde dir allerdings trotzdem raten, aufs Pferd zu steigen und... Aua! Großer Sven! Tritt mich gefälligst nicht vor allen Leuten! Das untergräbt meinen Respekt! Außerdem war das dein schlimmer Fuß!«
Aud war leichenblass. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen!«, zischte sie wütend. »Ist dir entfallen, dass ich wie du von einem Heldengeschlecht abstamme? Außerdem kann ich immerhin ein Schwert am Gürtel tragen, ohne jedes Mal drüberzustolpern, wenn ich meine kurzen Stampfer in Bewegung setze.«
Hal stieg das Blut zu Kopf. »Hör sofort...«
Doch Aud ließ sich nicht den Mund verbieten. »Hältst du dich allen Ernstes für einen Krieger?«, fauchte sie. »Dein Vorteil ist höchstens, dass die Schwerthiebe über dich drübersausen! Oder vielleicht hackt sich ein Feind, der auf dein Herz zielt, versehentlich den Fuß ab und fällt um! Ansonsten dürften deine Aussichten nicht gerade rosig sein.«
Hal kochte vor Wut. »Ach ja? Ach ja? Und wer hat dir gestern Nacht das Leben gerettet, hä?«
»Ja, ja, ich weiß, dass du mich gerettet hast.Aber wenn ich mich recht erinnere, haben wir den Trold zu guter Letzt gemeinsam in die Flucht geschlagen. Habe ich mich da etwa einschüchtern lassen? Bin ich abgehauen? Habe ich dich im Stich gelassen? Hm? Sag schon!«
Hal biss sich auf die Lippe. »Nein, aber...«
»Und da glaubst du, ich lasse dich jetzt im Stich?«
»Nein! Aber...«
»Was willst du mir dann sagen?«
»Ich wollte sagen...«
»Na?«
»Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt, das wollte ich sagen.«
»Und warum ist das so furchtbar wichtig?«
»Weil...« Hal fuchtelte mit den Händen. »Weil sonst dein Vater durchdreht und es noch mehr Verwicklungen gibt, die sich mein Haus nun wirklich nicht mehr leisten kann.«
»Das ist der Grund?«
»Das ist der Grund.«
»Aha. Sehr rücksichtsvoll von dir. Mein Vater wäre dir gewiss sehr verbunden.« Es klang abweisend.
»Das freut mich.« Hal wandte sich ab, als Ketil ankam und ihn etwas wegen der geflochtenen Netze fragte. Dann wollte sich ein schlecht gelaunter Leif mit ihm über die Verteidigung der Mauer unterhalten, Grim brüllte nach Eimern, und als Hal diese und eine ganze Reihe anderer Probleme gelöst hatte und sich wieder nach Aud umsah, war sie spurlos verschwunden.
Am späten Nachmittag wurde der Nebel noch dichter. Wie Wollfetzen trieben seine Ausläufer über die Felder und Wiesen, schlängelten sich durch die Bäume und schoben sich vor die untergehende Sonne. Die Weiden unterhalb des Hauses waren schon nicht mehr zu erkennen, auch die Straße jenseits des alten Wassergrabens war verschwunden.
Hal stand oben auf der Mauer und schaute ins Nichts.
Er sog die Luft ein, witterte die Stille und die nahende Gefahr. Hord konnte nicht mehr weit sein, da war er sich so sicher, als würde er selbst gleich neben dem Feind auf einem der Felder hocken. Irgendwo da draußen kauerte Hord Hakonsson mit seiner kleinen Schar, die er erfolgreich durch die vereiste Schlucht geführt hatte, und wartete darauf, dass es dunkel wurde.
Hal kniff die Augen zusammen. Aber wo? Wo würde er selbst sich im umgekehrten
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