Vampir-Expreß
die ich auch Verständnis hatte, aber in diesem Moment nicht haben durfte, denn ich vermisste Ada Bogdanowich, und mein Gefühl sagte mir, dass etwas nicht stimmte.
»Vera!« sprach ich sie an. »Wo steckt Ihre Tante. Bitte, reden Sie!«
»Ich… Ich…«
Wieder sprach ich wie mit Engelzungen. »Vera, ich weiß, wie es in Ihnen aussieht, aber Sie müssen sich jetzt zusammenreißen. Befindet sie sich im Zug?«
»Ja.«
»Und die Vampire?«
»Sind weg!« flüsterte sie.
»Wohin?«
»Das glauben Sie mir nie«, schluchzte Vera Bogdanowich. »Versuchen Sie es trotzdem.«
Sie nickte, holte ein weißes dünnes Taschentuch aus ein kleinen Pompadour und schneuzte ihre Nase. Mit flüsternder Stimme begann sie zu reden. »Es war alles so schlimm. Ich bin mit den anderen zu den Särgen gegangen, weil ich es einfach musste. Boris und meine Tante ließen mir keine Wahl. Ada zog mich hinter sich her. Da habe ich eine furchtbare Angst ausgestanden. Vor allen Dingen wegen Boris. Er hat immer nur von Blut gesprochen und schaurig geflüstert.«
»Und die Tante?« warf ich ein.
»Sie hielt zu Boris. Für sie war er der Größte. Sie huldigte ihm, sie blieb immer an seiner Seite und sprach von einer großen Zukunft in Rumänien. Dass sie es endlich geschafft hatte, wieder in die alte Heimat zu gelangen. Ich kann Ihnen überhaupt nicht sagen, welch eine Zeit ich durchmachte, aber es wurde noch schlimmer, als wir den Gepäckwagen erreichten. Da warteten drei andere.«
»Auch Vampire?« fragte Dragan.
»Ja. Sie sahen fast so aus wie Boris. Trugen auch dunkle Kleidung, und wenn sie ihr Maul öffneten, zeigten sie ihre Zähne. Ich sah auch die Särge und musste befürchten, in einen von ihnen hineingesteckt zu werden. Um mich kümmerten sie sich nicht mehr, denn ein Vampir war nicht mehr da. Ich hörte, dass es eigentlich fünf sein müssten. Obwohl es keiner gesehen hatte, war ihnen klargeworden, dass er nicht mehr lebte. Boris hatte das gefühlt. Er begann zu toben, denn er wusste mit einemmal, dass da einiges schiefgegangen war. Und er gab auch meiner Tante die Schuld. Um mich kümmerte sich keiner. Ich kann jetzt noch nicht genau sagen, was da in mich gefahren war, auf jeden Fall versuchte ich es. Ich zog mich zurück.« Sie holte hastig Atem, schluckte und erzählte dann weiter. »Keiner bemerkte etwas. Ich konnte den einen Teil des Gepäckwagens verlassen und gelangte in den nächsten. Als ich von dort aus einen Blick zurückwarf, erkannte ich, wie sich die Vampire verwandelten. Sie wurden plötzlich zu Fledermäusen. Bis auf meine Tante machten alle diese Metamorphose durch. Sie stand da, schaute zu, winkte mit beiden Händen und lachte wie eine Wahnsinnige. Es war die Freude, die sie überkommen hatte.«
»Und was erlebten Sie noch?«
Vera schaute mich an und schüttelte den Kopf. »Nichts mehr, Monsieur Sinclair. Ich bin ja gegangen. Können Sie das verstehen? Ich wollte nur weg.«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich kann Sie sogar sehr gut verstehen, meine Liebe.«
»Vera, weißt du, was mit deiner Tante noch weiter geschah? Hast du sie inzwischen gesehen?« fragte Dragan.
»Nein.«
»Ihr seid nicht zusammen in dieses Abteil gegangen?«
»Dann hätte meine Tante ja hier sitzen müssen.«
»Klar, Sicher.« Dragan nickte. »Sie kann ja mal rausgegangen sein, um sich…«
Ich unterbrach den nutzlosen Dialog und fragte konkret: »Sie kann also noch im Gepäckwagen stecken?«
»Ja.«
Das wollte ich wissen. Als ich aufstand, hielt Dragan mich fest. »Ich gehe mit.«
»Nein, Sie achten auf Vera.«
Er widersprach nicht. Ich hatte das Gefühl, mit meiner Entscheidung genau das Richtige getroffen zu haben. Die jungen Leute sollten zusammenbleiben. Den Rest wollte ich erledigen.
Diese Ada Bogdanowich schien mehr zu wissen, als ihr gut tat. Ich wollte, dass sie mir einiges von ihrem Wissen mitteilte. Im Augenblick rollten wir durch einen Tunnel. Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich keine Schatten mehr, sondern nur noch eine Wand und huschende zerflatternde Rauchschwaden.
Man feierte.
Irgend jemand hatte ein Lied angestimmt, und schon bald sangen die Reisenden eines Wagens.
Ich ließ mich nicht aufhalten. Mein Gesicht zeigte keine Fröhlichkeit, denn ich ahnte, dass uns noch ein verdammt harter Strauß bevorstand. So einfach würden die Blutsauger nicht aufgeben. Momentan befand ich mich in einer schlechten Situation. Als Fledermäuse waren die Vampire wesentlich beweglicher. Ich rechnete damit, dass sie dem
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