Vampirmelodie
freute sich definitiv nicht, Erics Mann für tagsüber zu sehen.
Soweit ich wusste, hatte Sam nichts gegen den Werwolf. Er warf Mustapha doch sicher nicht vor, dass er Jannalynn den Kopf abgeschlagen hatte? Immerhin war es ein fairer Kampf gewesen, und Sam war, obwohl selbst Gestaltwandler, mit den Regeln der Werwölfe sehr vertraut. Oder war es Mustaphas Job als Erics Mann für tagsüber, der Sam so grantig machte?
Ich fragte mich, warum Mustapha mich aufsuchen kam, so wie die Dinge lagen. Vielleicht war entschieden worden, wer das Fangtasia übernehmen würde, und Eric wollte, dass ich es erfahre.
»Hallo, Mustapha«, sagte ich, so ruhig ich konnte. »Was führt Sie heute hierher? Kann ich Ihnen ein Glas Wasser mit Zitrone bringen?« Mustapha trank nichts Stimulierendes: keinen Kaffee, keine Coca-Cola, nichts.
»Danke. Ein Glas Wasser wäre erfrischend«, erwiderte er. Wie üblich trug Mustapha eine dunkle Sonnenbrille. Seinen Motorradhelm hatte er abgenommen, und ich sah, dass er sich ein Muster in die Stoppeln auf dem Schädel rasiert hatte. Das war neu. Es glänzte im Licht der Bar. An Norr musste gleich zweimal hinsehen, als sie einen interessierten Blick auf den muskulösen Prachtkerl warf. Und sie war nicht die Einzige.
Als ich Mustapha sein eisgekühltes Wasser brachte, saß er auf einem Barhocker und lieferte sich irgendeinen schweigsamen Wettkampf im Anstarren mit Sam.
»Wie geht’s Warren?«, fragte ich. Warren, wahrscheinlich der einzige Mensch, der Mustapha etwas bedeutete, war dem Tode entsetzlich nahe gewesen, als wir ihn in dem leeren Apartment über der Garage auf dem Grundstück von Jannalynns Eltern fanden.
»Schon besser, danke, Sookie. Er ist heute eine halbe Meile gejoggt. Und den Rest ist er gewalkt, mit etwas Unterstützung. Er wartet jetzt dort draußen.« Mustapha neigte seinen gemusterten Schädel Richtung Vordertür. Warren war wirklich der schüchternste Mensch, der mir je begegnet war.
Ich hatte gar nicht gewusst, dass Warren vor seiner qualvollen Entführung ein Läufer gewesen war. Aber die Tatsache, dass er sein Training wieder aufgenommen hatte, war vermutlich eine ziemlich gute Neuigkeit, und so bat ich Mustapha, ihm gute Besserung auszurichten. »Ich hätte ihm eine Karte mit Genesungswünschen geschrieben, wenn ich seine Adresse hätte«, fügte ich hinzu und fühlte mich wie ein Dummkopf, als Mustapha seine Sonnenbrille abnahm und mir einen skeptischen Blick zuwarf. Doch, hätte ich.
»Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Eric morgen Nacht abreist«, sagte er. »Er findet, Sie sollten es wissen. Und außerdem hat er noch ein paar Sachen in Ihrem Haus, die er wiederhaben will.«
Einen langen Augenblick lang stand ich sehr still da und spürte, wie die Endgültigkeit des Ganzen mein Herz traf. »Okay«, sagte ich schließlich. »Ich habe wirklich noch ein paar Sachen von ihm im Wandschrank. Die kann ich ihm ja schicken … wohin denn? Auch wenn vermutlich nichts dabei ist, was er vermissen würde.« Ich versuchte, jede wie auch immer geartete unterschwellige Bedeutung zu vermeiden.
»Ich hole sie bei Ihnen zu Hause ab, wenn Sie mit der Arbeit fertig sind«, erwiderte Mustapha.
Die Uhr zeigte halb fünf an. »Ich sollte in etwa einer halben Stunde oder so hier durch sein«, sagte ich und sah Sam an, der bestätigend nickte. »Wenn India pünktlich kommt.«
Und da kam sie schon, durch die Vordertür, und bahnte sich schlängelnd einen Weg durch die Tische. India hatte sich die Haare machen lassen, ein Procedere, das sie mir auf faszinierend detaillierte Weise beschrieben hatte, und die bunten Perlen am Ende ihrer Zöpfe klickten beim Laufen aneinander. Sie entdeckte meinen Gefährten, als sie noch einige Meter entfernt war, und trug eine erstaunte Miene zur Schau, die sie um des Effektes willen extra noch übertrieb, als sie uns erreichte.
»Na, Sie sind ja ein Anblick, Bruder, bei dem man sich fast wünscht, hetero zu sein!«, rief sie mit ihrem schönen Lächeln.
»Das kann ich nur zurückgeben, Schwester«, erwiderte er höflich und beantwortete damit vielleicht sogar eine Frage, die ich immer schon zu Mustapha hatte. Oder auch nicht. Er war der verschwiegenste und verschlossenste Mensch, dem ich jemals begegnet war, und ich muss zugeben, dass ich das erfrischend fand – gelegentlich. Wenn man es gewöhnt ist, alles zu wissen, inklusive einer Menge Halbwahrheiten, die man am liebsten nie erfahren hätte, kann die Ungewissheit gewaltig frustrierend
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