Vampirmelodie
Tonfall.
»Karin, warum sind Sie hier?«
»Um Sie zu bewachen«, sagte sie äußerst geduldig.
»Um mich hier zu halten? Oder um andere Leute draußen zu halten?«
»Andere Leute draußen«, erwiderte Karin. Sie klang nicht genervt, sondern ganz sachlich.
»Ich mach mal das Licht an«, sagte ich, griff zu meiner Nachttischlampe hinüber und schaltete sie ein. Karin die Schlächterin hockte bei der Tür zu meinem Schlafzimmer.
Wir blickten einander an. Komisch, nach einem Moment fiel mir vor allem Erics »Reihe« auf: Wenn ich goldblond war und Pam eine hellere Blondine, war Karins Haar am aschblonden Ende des Spektrums angesiedelt. Es fiel ihr in schweren Wellen den Rücken hinab. Ihr Gesicht war vollkommen ungeschminkt und sehr hübsch. Ihre Lippen waren schmaler als meine, wie auch ihre Nase, doch ihre Augen waren groß und blau. Karin war kleiner als ich oder Pam, aber genauso kurvig gebaut. Karin war quasi ein Abbild von mir.
Eric hielt eindeutig an einem Frauentyp fest.
Der größte Unterschied lag nicht in unserem Aussehen, sondern in unserem Ausdruck. Als ich Karin in die Augen sah, wusste ich, dass sie eine eiskalte Killerin war. Das sind alle Vampire, aber manche haben eine größere Neigung dazu. Und manchen macht es mehr Spaß als anderen. Als Eric Pam und Karin zu Vampirinnen machte, hat er wahrhaftig blonde Kriegerinnen geschaffen.
Wenn ich zur Vampirin werden würde, wäre ich wie sie. Ich dachte an all die Dinge, die ich bereits getan hatte. Und schauderte.
Dann sah ich, was Karin trug.
»Yogahosen?«, sagte ich. »Eine grausame Vampirin, die Yogahosen trägt?«
»Warum nicht? Die sind bequem«, erwiderte sie. »Man kann sich gut darin bewegen. Und sie sind maschinenwaschbar.«
Ich stand kurz davor, sie zu fragen, welches Waschpulver sie benutzte, und ob sie das Kaltwaschprogramm wählte, hielt mich dann aber zurück. Ihr plötzliches Auftauchen hatte mich doch irgendwie erschüttert.
»Okay, Sie haben vermutlich alles mitangehört, was Eric zu mir gesagt hat. Möchten Sie seine sehr unbefriedigenden Aussagen noch irgendwie erläutern?«, fragte ichin so ruhigem und gelassenem Tonfall wie irgend möglich.
»Sie wissen genauso gut wie ich, was er zu Ihnen gesagt hat, Sookie«, erwiderte Karin. »Sie brauchen mich nicht, um es Ihnen zu erklären, mal angenommen, dass mein Vater Eric das überhaupt wollte.«
Einen Augenblick lang schwiegen wir, ich immer noch im Bett und sie etwas entfernt in der Hocke. Ich konnte die Insekten draußen summen hören, als sie unisono ihr Gedröhne aufnahmen. Wie machen die das eigentlich?, wunderte ich mich, und da wurde mir klar, dass ich noch immer benommen war vom Schlaf und vom Schock.
»Nun«, sagte ich. »Ist ja alles schön und gut, aber ich brauche meine Nachtruhe.«
»Wie geht’s Sam? Dem, den Sie von den Toten zurückgeholt haben?«, fragte Karin plötzlich unerwartet.
»Ohhh … na ja, er hat leichte Schwierigkeiten, damit fertigzuwerden.«
»Womit?«
»Noch am Leben zu sein.«
»Er war doch kaum richtig tot«, spöttelte Karin. »Ich bin sicher, er singt Loblieder auf Sie. Und seine Dankbarkeit kommt von Herzen?« Sie war sich ganz und gar nicht sicher, sondern an meiner Antwort interessiert.
»Nicht dass es mir aufgefallen wäre«, gestand ich.
»Sehr seltsam.« Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, warum sie so neugierig war.
»Das finde ich auch. Gute Nacht, Karin. Könnten Sie mich draußen vor meinem Schlafzimmer bewachen?« Ich schaltete das Licht wieder aus.
»Ja, kann ich. Eric hat nicht gesagt, dass ich an Ihrem Bett stehen und Ihnen beim Schlafen zusehen soll.« Und dann deutete ein leichtes Flirren in der Dunkelheit an, dass sie gegangen war. Ich wusste nicht, wo sie Positionbeziehen wollte, und ich wusste nicht, was sie bei Tagesanbruch tun würde, aber ehrlich gesagt, gehörte das zu dem Riesenhaufen an Dingen, die nicht mein Problem waren. Ich legte mich hin und dachte über meine nächste Zukunft nach. Morgen: Arbeit. Morgen Abend: sollte ich offenbar irgendeine unangenehme öffentliche Konfrontation mit Eric haben. Und das würde mir nicht erspart bleiben, denn nicht hinzugehen war einfach keine Option für mich. Wo Arlene heute Nacht wohl schlief, fragte ich mich noch. Hoffentlich nicht irgendwo in der Nähe.
Die anstehenden Ereignisse wirkten nicht allzu attraktiv.
Manchmal wünscht man sich doch, man könnte eine Woche vorspulen, oder? Man weiß, dass etwas Schlimmes bevorsteht, und man weiß, dass man’s
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