Vampirmelodie
haben,als sie vorne durch die Tür hereingekommen ist.« Ich dachte einen Moment lang nach. »Ja, die Hintertür habe ich nicht gehört. Sie kam nach hinten in dein Büro, als ich mit der Post beschäftigt war, und sie sprach vielleicht fünf oder zehn Minuten mit mir. Mir kam’s allerdings vor wie eine Ewigkeit.«
»Warum ist sie überhaupt ins Merlotte’s gekommen?« Sam sah mich perplex an.
»Sie wollte ihren Job wiederhaben.«
Sam schloss für einen langen Augenblick die Augen. »Als ob es jemals dazu gekommen wäre.« Und dann öffnete er sie wieder und sah direkt in meine. »Am liebsten würde ich ihre Leiche da rausholen und irgendwo anders hinschaffen.« Es war als Frage gemeint. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich schockiert, doch ich verstand seine Gefühle sehr gut.
»Das könnten wir natürlich tun«, sagte ich leise. »Es würde sicher …« Jede Menge Ärger ersparen. Schrecklich sein, es in die Tat umzusetzen. Den Fokus der Ermittlungen vom Merlotte’s ablenken. »… ziemlich grässlich sein«, beendete ich meinen Satz. »Aber machbar.«
Sam legte mir einen Arm um die Schultern und versuchte zu lächeln. »Es heißt doch immer, dein bester Freund hilft dir auch, eine Leiche zu entsorgen«, sagte er. »Du musst mein bester Freund sein.«
»Das bin ich«, erwiderte ich. »Ich helf dir, Arlene hier im Handumdrehen wegzuschaffen – wenn wir wirklich glauben, dass das Richtige ist.«
»Tja, leider nicht«, sagte Sam schweren Herzens. »Ich weiß, dass es nicht richtig wäre. Und du weißt es auch. Aber wenn ich nur daran denke, dass die Bar in eine weitere polizeiliche Ermittlung verstrickt wird … und nicht nur die Bar, auch wir persönlich. Es gibt bereits genug, wovon wir uns erholen müssen. Ich weiß, dass du Arlenenicht ermordet hast, und du weißt, dass ich es nicht war. Aber ich weiß nicht, ob die Polizei das glauben wird.«
»Wir könnten sie in den Kofferraum meines Autos legen«, sagte ich, war aber selbst nicht überzeugt davon, dass wir das tun sollten. Ich spürte, wie diese spontane Eingebung wieder schwand. Zu meiner Überraschung umarmte Sam mich, und einen langen Augenblick lang standen wir unter dem Baum, und das Regenwasser tröpfelte auf uns herab. Ich wusste nicht, was genau Sam dachte, und darüber war ich froh. Aber ich konnte genug in seinen Gedanken lesen, um zu wissen, dass uns beide der Widerwille verband, die nächste Phase des Tages in Angriff zu nehmen.
Nach einer Weile ließen wir einander los. Sam sagte: »Verdammt. Okay, ruf die Cops.«
Ohne große Begeisterung wählte ich den Notruf 911.
Wir setzten uns auf die Stufen zu Sams Veranda, während wir warteten. Die Sonne kam wie aufs Stichwort heraus, und die Feuchtigkeit in der Luft verwandelte sich in Dampf. Das machte genauso viel Spaß wie angezogen in der Sauna zu sitzen. Schweiß rann mir den Rücken hinab.
»Hast du irgendeine Vorstellung, was ihr passiert ist, wie sie umgekommen ist?«, fragte ich. »Ich habe nicht so genau hingesehen.«
»Ich glaube, sie wurde erwürgt«, meinte Sam. »Ich bin nicht ganz sicher, sie war so aufgedunsen. Aber ich glaube, sie hat immer noch irgendwas um den Hals. Vielleicht, wenn ich mehr Episoden von ›CSI‹ gesehen hätte …«
Ich schnaubte. »Arme Arlene«, sagte ich, doch es klang nicht allzu traurig.
Sam zuckte die Achseln. »Ich kann mir nicht aussuchen, wer lebt und wer stirbt. Doch Arlene hätte auf meiner Liste der Leute, für die ich um Gnade gebeten hätte, nicht ganz oben gestanden.«
»Weil sie versucht hat, mich ermorden zu lassen.«
»Und nicht einfach nur schnell ermorden«, fuhr Sam fort. »Sondern langsam und qualvoll. Wenn man all das in Betracht zieht, tut’s mir nicht allzu leid, dass es ihre Leiche ist, die in meinem Müll liegt, wenn da denn schon eine liegen muss.«
»Für die Kinder ist es allerdings schlimm«, meinte ich, denn plötzlich wurde mir klar, dass es zwei Menschen gab, die Arlene für den Rest ihres Lebens vermissen würden.
Sam schüttelte schweigend den Kopf. Die schwierige Lage der Kinder tat ihm leid, doch Arlene hatte sich zu allem anderen als einer Vorzeigemutter entwickelt, und sie hätte die beiden in ihrem Fahrwasser mitgezogen. Die Haltung extremer Intoleranz, die Arlene angenommen hatte, wäre für die Kinder genauso schädlich gewesen wie radioaktive Strahlung.
Ich hörte eine Sirene, und als sie lauter wurde, sahen Sam und ich einander resigniert an.
Was für ein Schlamassel die nächsten beiden
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