Vampirnacht
streckte ihr die Zunge heraus, doch nach kurzer Überlegung musste ich ihr recht geben. »Ich verliere sehr ungern, wie du weißt, aber du hast recht. Ich taste mich auch irgendwie voran und tue, was ich in dem Moment für das Beste halte, aber ob das gut war, wissen wir immer erst hinterher.«
»Ich muss dich etwas fragen.« Sie hielt inne und wirkte beinahe verlegen.
»Was denn? Frag ruhig, ich werde dir so ehrlich antworten, wie ich kann.«
Sie beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Du bist jetzt eng mit Roman verbunden. Meinst du, er wird dieses Band ausnutzen, um sich zwischen uns zu drängen?«
Ich senkte den Kopf. »Ich habe mit ihm über uns gesprochen. Ich habe ihn gefragt, warum er nach unserem … gemeinsamen Schäferstündchen verschwunden ist. Er dachte, er würde damit klarkommen, hat er gesagt. Aber die Art, wie ich dich ansehe, erinnert ihn zu sehr an die einzige Frau, in die er jemals verliebt war. Und das ist nicht gut ausgegangen.«
»Mit anderen Worten, er will, dass du
ihn
so ansiehst. Und da er jetzt dein Meister ist …«
»Nein.«
Ich wusste nicht recht, warum ich Roman eigentlich verteidigte, aber jeder dachte immer gleich das Schlimmste von ihm, obwohl er uns bisher eine große Hilfe gewesen war. »Er bräuchte uns nicht zu helfen – und dennoch hat er das schon oft getan. Er ist uns zu überhaupt nichts verpflichtet.«
Nerissa biss sich auf die Lippe und machte ein besorgtes Gesicht. »Okay. Glaubst du, dieses Band wird sich auf deine Gefühle für mich auswirken?«
Mir wurde klar, dass sie verunsichert war und sogar ein wenig eifersüchtig. Ich rutschte dicht an sie heran und nahm ihre Hände. »Hör mir zu. Ich liebe dich. Ich will dich heiraten. Roman liebe ich nicht, auch wenn wir jetzt eine besondere Verbindung zueinander haben. Roman will ich nicht heiraten. Er hat mir sein Wort darauf gegeben, dass er sich nicht zwischen uns drängen wird, und ich vertraue ihm. Aber auch deine Angst darf nicht zwischen uns stehen. Denn das ist das Einzige, was uns auseinanderbringen kann – Angst.« Ich küsste ihre Fingerspitzen, und als Tränen über ihre Wangen liefen, küsste ich auch die.
Ihre Lippen fanden meine, und sie nahm mich in die Arme. Schweigend kuschelten wir eine halbe Stunde lang. Schließlich gähnte sie wieder.
»Ich muss morgen früh raus. Ich sollte noch ein bisschen schlafen.«
»Dann schlaf schön, und mach dir keine Sorgen. Bitte, es macht mich fertig, wenn ich daran denke, dass du traurig bist. Ich finde die Sträuße wunderschön. Und ich bin dabei, den perfekten Platz für unsere Zeremonie zu finden.« Ich ging und drehte mich in der offenen Tür noch einmal um. »Nerissa … für dich würde ich fast alles aufgeben. Ich würde mein Leben für dich geben.«
Sie blies mir eine Kusshand zu, und ich stieg hinab in meinen Keller, duschte und schlüpfte in den Pyjama mit dem Motiv einer Cartoon-Fledermaus, den Delilah mir zum Yulfest geschenkt hatte. Eine Bewegung erschreckte mich, und als ich aufblickte, sah ich Misty auf mein Bett hüpfen. Im Gegensatz zu den meisten lebendigen Katzen hatte Misty keine Angst vor mir, sie stolzierte über die Bettdecke und kroch auf meinen Schoß. Ich erlaubte es ihr und streichelte das geisterhafte Fell, so gut es ging.
Mir blieben noch ein paar Stunden bis Sonnenaufgang, und ich ließ mir alle möglichen Plätze durch den Kopf gehen, wo wir heiraten könnten. Es gab hier in der Gegend eine Menge schöne Parks und einige Villen, die man für so etwas mieten konnte, aber die meisten waren lange im Voraus ausgebucht.
Beim Nachdenken über unsere Hochzeit stiegen auch immer wieder Bilder von zu Hause in mir auf. Und dann hatte ich es.
Am Y’Leveshan-See in der Nähe von Y’Elestrial.
Am Seeufer gab es Parks, die vor Libellen, Zitternüssen und Toris mit ihrem herrlichen Gesang und prächtigen Gefieder nur so schillerten. Ich konnte es beinahe vor mir sehen – wir würden am Ufer heiraten, in der Nähe der Erulizi-Fälle, die von den hohen Klippen herabdonnerten. Die feinen Tröpfchen glitzerten im Sonnenlicht, brachen es und ließen Regenbogen über dem Wasser strahlen. Das war der perfekte Ort, und Nerissa würde es dort sehr gefallen. Wir würden zwar nach Sonnenuntergang heiraten müssen, aber sie konnte bei Tag am malerischen Seeufer spazieren gehen, und der Mond, der sich im Wasser spiegelte, würde beinahe so schön leuchten wie die Sonne.
Ich schnappte mir ein Notizbuch und begann mit einer
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