Vater sein dagegen sehr
noch ein rechtes Kind ist«. Und Lutz nickte ihr wie einer Verschworenen in einem finsteren Degen- und Mantelstück zu. Eine geheime Ahnung sagte ihm, daß er es nötig haben werde, sein Herz zu panzern.
Der Spitz Bello blieb daheim, um das Haus zu hüten. Auf dem Wege zum Lamm gingen die Kinder wieder voraus. Die beiden Männer nahmen Frau Roeckel, die den schwarzen Schleier daheim gelassen hatte, in die Mitte.
»Wir werden morgen allerhand Laufereien haben«, knurrte Herr Roeckel, »Vormundschaftsgericht, Fürsorgeamt, Krankenkasse, Begräbnisverein, Lebensversicherung.«
»So — war Hertha versichert?«
»Das ist doch wohl jeder anständige Mensch!« bemerkte Frau Roeckel mit einiger Schärfe.
»Natürlich!« sagte Lutz überzeugt. »Ich muß allerdings gestehen, daß mir meine Jahresprämie von sechstausend Mark manchmal leichte Kopfschmerzen macht. Und eigentlich noch mehr der Gedanke, was ich nach meinem Tode mit der Viertelmillion anfangen soll.«
Frau Roeckel warf den Kopf herum und sah ihm scharf unter die Hutkrempe; aber er blieb todernst.
»Hertha war für fünf Mille versichert«, sagte Herr Roeckel, »und natürlich muß das Geld mündelsicher angelegt werden.«
»Selbstverständlich«, rief Lutz, »dann hat es die meiste Aussicht, beim nächsten Staatsbankrott mit ein paar Prozent aufgewertet zu werden. Ich bin auch immer für sichere Kapitalsanlagen. Es wäre ja auch geradezu ein Verbrechen, den Kindern von dem Geld ein paar anständige Klamotten zu kaufen oder es für ihre Ausbildung zu verwenden.«
Sie überquerten den Maxplatz in eisigem Schweigen. Ironie schien bei den Roeckels nicht geschätzt zu werden.
»Und im übrigen müssen wir mit dem ganzen Behördenkram morgen fertig werden«, sagte Herr Roeckel nach einer Weile; »ich habe übermorgen meinen Dienst anzutreten. Und Sie?«
»Ich hätte eigentlich schon heute daheim sein müssen.«
Frau Roeckel schnaufte laut und kurz auf; in der Schnelligkeit der Auffassungsgabe schien sie ihrem Gatten überlegen zu sein. »Nun machen Sie aber mal einen Punkt!« sagte sie grimmig. »Sie haben doch einen freien Beruf!«
»Eben darum!« antwortete Lutz höflich und liebenswürdig. »Ich bin mein eigener Arbeitgeber, und in dieser Eigenschaft scharf wie ein Sklavenaufseher. Oder meinen Sie, verehrte gnädige Frau, der Geldbriefträger liefert den Inhalt seiner Tasche jeden Morgen deshalb bei mir ab, weil auf meinem Türschild >Schriftsteller< steht? Wenn Sie das annehmen, dann befinden Sie sich in einem bedauerlichen Irrtum.«
So — man mußte diesem Weibsbild einmal über das Maul fahren, auf Biegen oder Brechen, auch auf die Gefahr hin, mit
Herrn Roeckel aneinanderzugeraten. Aber zu seinem Erstaunen sagte der mit lauter Stimme: »Bravo! Geben Sie ihr nur immer richtig Saures, wenn sie ihre spitzige Goschn durchaus an Ihnen wetzen will! — Und eines sage ich dir jetzt, mein Herzchen«, und Herr Roeckel hob einen gewaltigen und rötlich behaarten Zeigefinger gegen seine Gattin, »die Schweinerei zu Hause wird jetzt eine andere, wenn die Kinder erst mal bei uns sind! Der verdammte Reinlichkeitsfimmel hört auf, und dein Schandmaul, und der ewige Stunk mit der Nachbarschaft! — Zwanzig Jahre habe ich mich von dir schikanieren und schurigeln lassen.«
Ein Erstarren der Bewegung und ein Atemzug, als wolle sie den gesamten Luftvorrat des Weltalls auf einmal einsaugen, zwang auch die beiden Männer zum Stehenbleiben, während die Kinder munter weitertrabten.
»Das mir?!« keuchte Frau Roeckel mit flackernder Stimme und flackernden Augen. Lutz sah sich nach einem Fluchtweg um.
»Jawohl«, sagte Herr Roeckel schlicht und einfach, aber es steckte etwas Bedrohliches in dieser Ruhe, »das dir! Und wenn du jetzt nicht den Dampf drosselst, Ulrikchen, dann erlebst du etwas, hier mitten auf der Straße, was du in deinem Leben noch nie erlebt hast, verstanden? Kein Wort weiter, sonst platzt mir der Kessel! — So — und jetzt habe ich Hunger!«
Die Plastik des Ausdrucks aus Friedrich Roeckels Berufssphäre war so zwingend, daß Lutz wirklich eine unter höchstem Dampfdruck stehende Lokomotive neben sich zu sehen vermeinte und einen halben Schritt zur Seite trat. Nicht eine Sekunde zu spät, denn im nächsten Augenblick rauschte Frau Roeckel davon, fegte über die Straße, überholte die beiden Kinder, rannte an ihnen vorüber, segelte am Georgsbrunnen vorbei und verschwand im Hoteleingang des »Weißen Lamms«. Die Kinder, die Hand in Hand auf halber
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