Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
obwohl dort in der Mitte des großen Raumes ein offenes Feuer brennt. Irgendwo muss es also eine Lüftung geben. Es muss einen Weg geben zum Licht. Nach draußen zum Licht.
Gestalten nähern sich dem Feuer. Sie werden größer, gehen am Feuer vorbei, kommen auf die Kinder zu. Man kann sie nicht erkennen mit dem Feuerschein im Hintergrund. Sie verschmelzen mit den Schatten, die sie an die Wände werfen, wirken gigantisch. Sie tragen Kutten und Kapuzen. Die Kutten schwingen beim langsamen Gang. Gespenstisch. Einige Gesichter sind weiß bemalt. Andere tragen große dunkle Brillen. Jetzt stehen sie vor den Kindern, verdecken das wenige Licht, so dass es fast dunkel ist in dieser Ecke.
Die Angst ist ungeheuerlich. Endora meint, allein davon müsse sie sterben. Ihr Herz schlägt nicht mehr nach seinem eigenen Rhythmus. Irgendetwas im Raum bestimmt über ihr Herz, ihr Blut, ihre Angst und zieht sie in seinen Rhythmus hinein.
Etwas Überwältigendes ist in der Atmosphäre, etwas Archaisches. Eine andere Welt. Vor Beginn der Zeit.
Der Anfang und das Ende. Grausam und kalt. Die Kälte erreicht ihr Herz.
Ein Geruch zieht vom Feuer her, wird stärker. Von etwas, das sie noch nie gerochen hat. Etwas Süßem und Beißendem. EtwasBetäubendem, von dem ihr schwindelig wird. Etwas Ekelerregendem, das sie von innen her vergiftet. Sie beginnt zu würgen. Niemand sagt etwas, aber sie weiß, sie darf nicht würgen. Sie hört auf. Ein Kind neben ihr übergibt sich. Die große Gestalt vor ihr greift das Kind im Nacken und hält es mit dem Gesicht in das Erbrochene.
»Leck es auf.«
Das Mädchen zappelt, es wehrt sich. Sofort packen zwei Männer zu, einer hält fest, der zweite öffnet ihr den Mund, langt in das Erbrochene, stopft es ihr in den Mund und hält ihren Kiefer fest geschlossen. Sie würgt, ein wenig kommt wieder aus der Nase heraus. Sie verdreht die Augen. Sie schluckt. Dann ist sie ruhig.
Zwölf große Holzkreuze stehen an den Längsseiten des Raumes. Jedes Kind wird an eines davon gebunden. Dort stehen sie, während weitere Erwachsene den Raum betreten. Dort stehen sie, klein und nackt, und das heiße Wachs der Kerzen in den schrägen Leuchtern tropft auf sie herab. Auf den Kopf und die Arme, auf die Brust, auf das Gesicht und auf die Beine.
Gegenüber der Tür, an der anderen Schmalseite ein langer Tisch, um den sieben Personen sitzen, der Siebenerrat. Auch sie in Kutten. Hinter ihnen stehen andere Gestalten, weitere kommen noch durch eine andere Tür herein. Es sind dreißig, vielleicht vierzig Personen. Alle Erwachsenen tragen Kutten. Kutten aus weichem, glattem Stoff, schwerem, edlem Stoff. Spezialanfertigungen.
Nichts Grobes wie Wolle.
Der Mann in der Mitte ist der »Stellvertreter Satans«, der Hohepriester, der Großmeister; manche sagen nur »der Herr«, wenn sie von ihm sprechen. Er steht auf, tritt an den Altar und nimmt Angelas Kätzchen von einem anderen Mann entgegen. Über dem Altar liegt ein schwarzes Tuch mit einem Pentagramm, dem Satanszeichen, in einem Kreis. Darauf steht das Satanskreuz. Auf seinem Querbalken brennen viele Kerzen.
Schwarze Kerzen.
Der Mann hebt Angelas Kätzchen in die Höhe, so dass alle es sehen können, und schlitzt ihm mit einem schnellen Schnitt den Bauch vom Brustbein aus der Länge nach auf. Kurze Spasmen jagen durch den Körper des Kätzchens, das Blut pumpt mit hohem Druck aus dem Körper, dann hängt das Tier schlaff in der Hand des Mannes und blutet aus in einen silbernen Kelch, der vor dem Kreuz steht. Nach einer Weile wirft der Mann den Kadaver auf den Altar. Als Angela – Endora – sich Wochen später wieder eine Lieblingskatze aussuchen darf, weiß sie, was das bedeutet. Die Entscheidung ist jetzt anders als beim ersten Mal: Von nun an ist ihr bewusst, dass sie über Leben und Tod entscheidet. Diesmal wählt sie eine Katze, die sie nicht so sehr mag. Aber dann begreift sie, dass ihr das überhaupt nicht hilft. Kleine Kätzchen sind alle süß. Sie sind weich und zärtlich und verspielt. Man muss sie mögen. Sie sollten nicht sterben.
Sie kann es nicht ändern.
Schließlich beginnt sie, sich daran zu gewöhnen, und von einem Mal zum anderen tut es weniger weh. Allmählich geht dann das Gefühl für die kleinen Kätzchen ganz verloren. Eines Tages spürt sie: Es ist kein Gefühl mehr da. Von nun an ist es auch nicht mehr so schlimm.
Und sie ist nur noch froh, dass sie es nicht selber ist.
Aber sie glaubt, sie habe die Schuld, dass die Kätzchen sterben, weil
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