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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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beantworten konnte, ohne zu lügen. Und etwas in ihr sträubte sich dagegen, den Commissario zu belügen.
    Und was folgte daraus? Angelina Zolli lehnte sich in die Kissen zurück und streckte die Beine aus. Daraus folgte, sagte sie sich, dass sie weitermachen musste. Dass sie jeden Abend auf die Piazza gehen musste in der Hoffnung, den Mann zufällig wiederzusehen. Vor allen Dingen – bei diesem Gedanken fing ihr Herz an zu klopfen – den Mann zu sehen, bevor er sie sah. Denn das war eine ziemlich grauenhafte Vorstellung: dass der Mann sie, ohne dass sie es merkte, entdecken und ihr nachschleichen würde, um sie dann in einer dunklen Ecke …
    Im Grunde, dachte sie seufzend, war das alles ein Wahnsinn. Oder – wie hatte sich Sergente Bossi ausgedrückt? –  eine unkonventionelle Ermittlungsmethode. Sie nahm sich vor, sich diesen Ausdruck zu merken.

37

    Es war kurz nach vier, als González von Bord der Novara kam. Tron stand auf dem Ponte del Vin wie auf einem Feldherrnhügel und hatte alles im Blick: Angelina Zolli neben dem Fahrkartenhäuschen, die jetzt ihre Hand erhob,  um zu signalisieren, dass sie González gesehen hatte, und Sergente Bossi, heute in Zivil, der sich vor dem Café Oriental postiert hatte und beide beobachtete.
    Mit dem Wetter – der entscheidenden Voraussetzung für  den Erfolg der Operation – hatten sie Glück gehabt. Die Wolkendecke war seit Mittag immer häufiger aufgerissen, und ein milder Wind rollte Bänder von Licht und Schatten über die Riva degli Schiavoni. Gemessen an den Temperaturen der letzten Tage, war es heute fast warm. Wahrscheinlich, dachte Tron, hätte das schöne Wetter allein ausgereicht, um Einheimische und Fremde in Scharen ins Freie zu treiben – jedenfalls herrschte ein regelrechtes Gedränge zwischen dem Hotel und dem Anleger.
    Bossi hatte fünf Schritte vom Eingang des Danieli entfernt einen Feuerschlucker postiert, daneben einen Jongleur (vier Bälle) und auf halbem Weg zum Kai einen Drehorgelspieler mit einem Pudel, der zu den Melodien der Drehorgel tanzähnliche Bewegungen auf den Hinterbeinen vollführte. Direkt vor dem Steg, an dem die Novara lag, hockte der alte Giuseppe Calcina mit seiner singenden Säge und spielte – sägte – eine Arie aus dem Ballo in Maschera. Es war eine Qual, ihm zuzuhören, aber wie immer, wenn er sägte, bildete sich sofort eine Traube um ihn. Sie alle bewirkten das Gedrängel, das Angelina Zolli als Deckung brauchte.
    Natürlich wussten sie nicht, warum Sergente Bossi sie aufgefordert hatte, ihre Nummern heute vor dem Danieli vorzuführen, und sie würden es auch nie erfahren.
    Jetzt hatte González das Danieli erreicht, und der livrierte Portier riss ihm die Tür auf. Angelina Zolli war dem Sekretär in zwei Schritten Entfernung gefolgt, vermutlich in der Hoffnung, bereits jetzt festzustellen, in welcher der beiden Taschen des Gehrockes sich der Schlüssel befand – und sich  vermutlich auch befinden würde, wenn González das Hotel wieder verließ. Der Sekretär würde die Riva degli Schiavoni in spätestens zehn Minuten wieder betreten, und dann käme die Stunde Angelina Zollis. Besser gesagt: ihre höchstens drei Minuten, denn länger würde González für den Weg zum Anleger nicht benötigen.
    Wie Tron vorausgesehen hatte, trat González knapp  zehn Minuten später wieder vor die Tür. Er trug ein kleines Aktenkonvolut in der Hand, und natürlich bemerkte er das Mädchen im blauen Mantel nicht, das vor dem Hotel auf ihn gewartet hatte. Tron sah, wie Angelina Zolli ihm in drei Schritten Entfernung folgte. Einen Moment lang verschwanden sie und González hinter den weißen Mänteln einer Gruppe von Offizieren, dann tauchten sie wieder auf, und Angelina Zolli schloss zu González auf – der stehen geblieben war, um dem Feuerschlucker zuzusehen. Sie ging langsam an ihm vorbei, schien ihn dabei fast zu streifen.
    Zwei Schritte von ihm entfernt verharrte sie, dann heftete sich wieder an seine Fersen, als er sich aus der Gruppe der Zuschauer löste und weiterging. Offenbar hatte sie noch nicht zugeschlagen, und auf einmal begriff Tron, was sie plante. Vor der singenden Säge war das Gedränge am größ ten. Dort war es unmöglich, die Menge zu durchqueren,  ohne irgendjemanden zu berühren oder von jemandem  berührt zu werden – die ideale Gelegenheit, den Schlüssel aus der Tasche des Gehrocks zu ziehen. Fatal nur, dass sie danach keine weitere Chance mehr haben würde.
    Wieder versperrte Tron eine Menschentraube

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