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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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den Blick  auf Angelina Zolli und González. Dann kam González hinter der Ansammlung hervor, die sich vor dem Mann mit  der Drehorgel und dem Affen gebildet hatte. Angelina Zolli war ihm dicht auf den Fersen, wie ein Schatten. Gleich  würde sie ihm in die Menschenansammlung vor der singenden Säge folgen und ihm – begleitet von den Arien des Ballo in Maschera – in die entsprechende Rocktasche langen.
    Doch – das tat sie nicht. Stattdessen bog sie plötzlich nach rechts ab, lief auf das Kartenhäuschen zu, in dessen Schutz sie auf González gewartet hatte, und blieb dort stehen. Tron sah, dass der Sekretär den Anleger bereits verlassen hatte und über die Gangway der Novara lief. Und er sah Angelina Zolli, die regungslos neben dem Kartenhäuschen verharrte.
    Erst jetzt fiel ihm auf, wie stark er unter seinem Gehpelz schwitzte. Er nahm seinen Zylinderhut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Operation hatte insgesamt eine Viertelstunde gedauert, und alle Figuren standen wieder in ihrer Ausgangsposition. Es war vorbei. Tron zweifelte nicht daran, dass Angelina Zolli gute Gründe gehabt hatte, auf den Zugriff zu verzichten. Vielleicht hatte González den Schlüssel zusammen mit dem Aktenkonvolut in der Hand gehalten, vielleicht hatte sich der Schlüssel auch in der Innentasche seines Gehrocks befunden. Das konnte er nicht beurteilen. Letzten Endes spielte es keine Rolle.
    Angelina Zolli, die offenbar gewartet hatte, bis González im Inneren der Novara verschwunden war, drehte sich jetzt um und ging auf Sergente Bossi zu, der immer noch vor dem Café Oriental ausharrte. Sie lief ruhig, ohne Hast und hatte beide Hände in den Taschen ihres Mantels vergraben.
    Kurz bevor sie auf Sergente Bossi traf, drängten sich ein paar Leute aus dem Café und versperrten Tron die Sicht auf die beiden.
    Tron stieß einen tiefen Seufzer aus, als er die Stufen des Ponte del Vin hinabstieg. Er war enttäuscht, weil die Operation fehlgeschlagen war, und zugleich erleichtert darüber,  dass es ihm nun erspart blieb, in die Suite des Botschafters einzubrechen. Denn nichts anderes, dachte er, wäre es gewesen, wenn man es nüchtern auf den Punkt brachte: ein Einbruch.
    Am Fuß der Treppe kam Bossi ihm entgehen. Von Angelina Zolli war nichts mehr zu sehen – sie hatten verabredet, sich nicht auf der Riva degli Schiavoni zu begegnen.
    Tron konnte nur hoffen, dass sie nicht das Gefühl hatte, versagt zu haben. Die Tatsache, dass sie keinen Erfolg gehabt hatte, änderte nichts daran, dass er jetzt in ihrer Schuld stand.
    «Uff», sagte Bossi und ließ die Luft ruckartig aus seinen Lungen entweichen. Sein Gesicht war gerötet. Er grinste plötzlich wie ein Zwölfjähriger, der jemandem einen besonders raffinierten Streich gespielt hatte. Dann zog er etwas aus seiner rechten Manteltasche und streckte es Tron entgegen. Tron griff automatisch zu, spürte etwas Metallisches auf der Handfläche, aber es dauerte noch ein paar Sekunden, bis sein Gehirn registrierte, worum es sich handelte.
    «Der Schlüssel?»
    Bossi nickte – so stolz, als hätte er das Kunststück selber vollbracht. «Sie muss es gemacht haben, als González dem Feuerschlucker zugesehen hat. Sie ist dabei noch nicht einmal stehen geblieben.» Er gab sich keine Mühe, die Bewunderung aus seiner Stimme herauszuhalten.
    «Ich gehe über die Hintertreppe», sagte Tron.

38

    Das Schloss an der Tür des Botschafters öffnete sich mit dem satten Geräusch teurer Schlösser, und mit einem ebenso sonoren Geräusch rastete es wieder ein, als Tron die Tür hinter sich zuzog. Weder auf der Hintertreppe noch auf dem Flur des ersten Stocks war ihm jemand begegnet – kein Gast, der ihn misstrauisch gemustert hatte, kein Zimmermädchen, das beim Anblick seines schäbigen Gehpelzes womöglich auf den Gedanken gekommen wäre, den Portier zu benachrichtigen.
    Tron hatte das Vorzimmer der Suite, das er jetzt zum  dritten Mal betrat, größer in Erinnerung. Ohne den  schnurrbärtigen González schien der Raum geschrumpft,  nicht mehr als ein Antichambre zu sein: Tron registrierte drei Sessel, einen runden Tisch und eine kleine Anrichte, auf der Flaschen, Gläser und alle möglichen Zeitungen lagen.
    Die Vorhänge waren zurückgezogen, und Tron sah den  weißen Schornstein der Erzherzog Sigmund, daneben die Takelage der Novara und auf der anderen Seite des Beckens von San Marco die Isola di San Giorgio – in der durchsichtigen Herbstluft schien die Insel nur einen Steinwurf

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