Venezianische Verlobung
«Dann war der hinkende Mann, den die Zeugin gesehen hat, jemand anders», sagte er.
Erzherzog Maximilian nickte. «Schertzenlechner hätte kein Motiv gehabt, Signorina Slataper zu töten. Die beiden kannten sich praktisch nicht. Im Übrigen ist Schertzenlechner heute Morgen in wichtigen Geschäften nach Wien gereist.» Er stand auf und hinderte Tron mit einer Handbewegung daran, sich ebenfalls zu erheben. «Allerdings», sagte er, «ist diese traurige Affäre nicht der eigentliche Grund, aus dem ich Sie hierher gebeten habe.»
«Und was ist der eigentliche Grund?»
Der Erzherzog sah Tron an, doch anstatt ihm zu antworten, betätigte er den Klingelzug neben dem Kamin. Tron konnte das Anschlagen der Glocke im angrenzenden Raum hören. Fast unmittelbar nach dem Läuten erschien Kapitänleutnant von Beust auf der Schwelle des Salons. In der rechten Hand hielt er eine Petroleumlampe, in der linken eine lederne Schreibmappe. Erzherzog Maximilian verzog seinen Mund zu einem freudlosen Lächeln. «Diese Mappe hier ist der Grund», sagte er.
23
Als Tron die Mappe aufschlug, sah er, dass sie drei schwarze Kartons im Format eines halben Briefbogens enthielt, in die jeweils zwei kreisrunde Öffnungen von der Größe eines Maria-Theresia-Talers geschnitten worden waren. In der einen Öffnung war der Kopf einer jungen Frau zu sehen, in der anderen der Kopf eines bärtigen Mannes. Offenbar handelte es sich bei den Bildern um Photographien. Die junge Frau blickte in die Kamera, der Mann schien fest zu schlafen. Die drei Kartons unterschieden sich kaum. Lediglich die Position der Köpfe und der Gesichtsausdruck der jungen Frau schienen leicht voneinander abzuweichen.
Betätigte sich Erzherzog Maximilian künstlerisch? Handelte es sich hier um eine Art Triptychon? Tron beschloss, seinen Kneifer aufzusetzen, bevor er einen Kommentar abgab.
Es dauerte dann nur ein paar Sekunden, bis er den Er zherzog und Anna Slataper identifiziert hatte, und auch nicht länger, bis er die Bedeutung des schwarzen Kartons verstand und begriff, was hier gespielt wurde. Er wäre, dachte Tron, nie so schnell auf die Bedeutung der Kartons gekommen, wenn er nicht selbst gestern Nacht etwas Ähnliches mit Schertzenlechner versucht hätte. Kein Zweifel – der Erzherzog wurde mit kompromittierenden Photos erpresst. Da die abgedeckten Partien keine relevanten Informationen enthielten, hatte er die nackten Körper überklebt – wahrscheinlich höchstpersönlich mit Zirkel, Federmesser und Gummiarabikum.
«Gibt es dazu einen Brief mit einer Forderung?» Trons Stimme klang ruhig und professionell – Commissario Tron, der alles im Griff hatte.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Erzherzog lächelte und Kapitänleutnant von Beust einen zufriedenen Blick zuwarf.
Beust sagte: «Der Erpresser fordert fünftausend Lire in Gold für drei weitere Photographien.» Er reichte Tron einen Bogen im Kanzleiformat, der einseitig mit großen Druckbuchstaben beschrieben war. «In zwei Tagen wird um Mitternacht am Campo Santa Maria dell’Orto mitgeteilt, wohin man sich zu wenden hat, um das Geld zu übergeben und die restlichen Photographien in Empfang zu nehmen.»
«LAU-DA-NUM», sagte der Erzherzog, indem er Tron ansah und jede einzelne Silbe betonte, so als würde er eine Frage beantworten, die ihm gerade gestellt worden war. «In Alkohol gemischt. Das Zeug ist im Champagner nicht zu schmecken. Raubt Ihnen für mindestens zehn Stunden das Bewusstsein.» Tron hatte den Eindruck, dass der Erzherzog Wert auf die Feststellung legte, unfreiwillig auf diese Photographien geraten zu sein.
«Haben Hoheit einen Verdacht, wer hinter dieser Erpressung stecken könnte?»
«Irgendjemand aus dem Bekanntenkreis von Signorina Slataper. Den ich meinerseits überhaupt nicht kenne. Sie hat selbstverständlich darauf geachtet, dass wir unter uns waren, wenn ich sie besucht habe.»
«Einen politischen Hintergrund sehen Hoheit nicht?»
Der Erzherzog schüttelte den Kopf. «Der Erpresser will Geld. Allerdings hat er angedeutet, diese Bilder der katholischen Kirche übergeben zu wollen.» Er lächelte schmal.
«Die möchte ihr Eigentum zurückhaben, das Juárez konfisziert hat. In Rom befürchtet man, dass ich mich weigern könnte, den konfiszierten Kirchenbesitz zurückzugeben. Ich hatte im Sommer ein etwas unangenehmes Gespräch mit dem Bischof von Puebla, der im römischen Exil lebt.»
«Würde Rom diese Photographien als Druckmittel
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