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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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stieß einen Seufzer aus, die Finger seiner rechten Hand lösten sich von der Derringer. Langsam sackte er in die Knie und fiel seitlich zu Boden.
    Was anschließend passierte, musste mindestens vier oder fünf Sekunden gedauert haben – erst im Rückblick schien sich das Geschehen auf einen Augenblick zusammenzudrängen. Zuerst sah Tron nur einen dunklen Mantel, der auf ihn zuflog, darüber ein schnurrbärtiges Gesicht, die obere Hälfte unter einer bautta verborgen. Dann, als er instinktiv zurückwich, einen Schatten, der sich näherte, und etwas, das sich aus dem Schatten löste und auf seinen Kopf zuraste.
    Das Letzte, was Tron bewusst registrierte, war der mit gro ßer Wucht geführte Hieb eines Totschlägers, der auf seiner linken Schläfe landete. Es gelang ihm noch, sich zur Seite zu drehen, um nicht auf die brennende Petroleumlampe zu stürzen. Dann verlor er das Bewusstsein, und gnädige Dunkelheit umfing ihm.

29

    Tron erwachte aus seiner Ohnmacht, als etwas an seinem  Stiefel knabberte, das definitiv größer war als eine Maus.
    Instinktiv streckte er den Fuß aus und hörte, wie die Ratte mit einem erschrockenen Pfeifen in der Dunkelheit verschwand. Er hätte auch in die Hände klatschen können, so wie er es im Palazzo Tron tat, wenn eine Ratte oder eine Maus über den Fußboden seines Schlafzimmers huschte.
    Aber er saß weder an seinem Schreibtisch, noch ruhte er auf seinem Bett. Stattdessen lag er frierend auf dem Fußboden eines fremden Raums, das Gesicht in einer dicken Staubschicht vergraben.
    Er stützte sich, immer noch liegend, auf seine Ellbogen und pustete den Staub von seinen Lippen. Dann schüttelte er vorsichtig den Kopf – und staunte. Es war weniger schlimm, als er erwartet hatte. Auf das Kopfschütteln folgte kein rasendes Zunehmen des Schmerzes, kein glühendes Pulsieren im Inneren seines Schädels, so als würde ihm jemand mit wuchtigen Schlägen einen rostigen Nagel ins Gehirn treiben. Lediglich ein leichtes Schwindelgefühl stieg in ihm auf. Auch die Beule auf seiner linken Schläfe ertrug die Berührung seiner Hand. Zwar fühlte sich seine ganze  linke Gesichtshälfte etwas taub an, aber der Schlag mit dem Totschläger schien ihm keinen dauerhaften Schaden zugefügt zu haben – er war ja nicht einmal ernsthaft verletzt.
    Offenbar hatte der Unbekannte nicht die Absicht gehabt, ihn zu töten – vielleicht weil er davon überzeugt war, dass er, Tron, nicht die geringste Chance hatte, ihm auf die Spur zu kommen.
    Tron streckte den Arm nach der Tischplatte aus, um sich hochzuziehen. Er kam schwankend auf die Beine und sah sich um. Der Mond, der vorhin durch die Fenster in den  Raum geschienen hatte, war weitergezogen, und die einzige Lichtquelle war jetzt die Petroleumlampe, die immer noch beharrlich brennend auf dem Tisch stand. Wie lange hatte er auf dem Fußboden gelegen? Eine Stunde? Zwei Stunden? Die Frage, kaum gestellt, wurde durch vier  dumpfe Glockenschläge beantwortet, die von der Gesuati  herüberklangen. Also war es vier Uhr. Tron schätzte, dass er den Ball zusammen mit dem Maskierten gegen eins verlassen hatte. Folglich hatte er gute zwei Stunden auf dem Fußboden gelegen. Mehr als reichlich Zeit für den Mann, der ihn niedergeschlagen hatte, seine Spuren zu verwischen und zu verschwinden.
    Er machte zwei unsichere Schritte in den Raum hinein  und stellte fest, dass er immer noch benommen war. Dann schloss er die Augen und dachte intensiv an die kurze Zeitspanne von höchstens zehn Sekunden, in denen der Mann den Schuss auf den Maskierten abgefeuert und danach ihn, Tron, niedergeschlagen hatte. Gab es irgendetwas, das ihm aufgefallen war? Irgendetwas, das er noch im Gedächtnis hatte? Tron zermarterte sich das Gehirn, aber es war so, als versuchte er, kurz nach dem Erwachen einen Traum zu rekonstruieren. Manchmal hatte er Erfolg damit, doch  diesmal schien es aussichtslos zu sein. Das Einzige, woran er sich erinnerte, war der Schnurrbart unter der bautta. Doch Tron war zu lange Polizist, um zu wissen, dass diese Beschreibung nichts wert war – sie war zu ungenau, sie traf einfach auf zu viele Personen zu.
    Plötzlich fühlte er sich so schlaff und kraftlos, als hätte während seiner Ohnmacht jemand sein Skelett entfernt. Er taumelte einen Schritt zurück, stützte sich mit der rechten Hand auf die Tischkante und schloss erneut die Augen.
    Als er sie wieder öffnete, sah er ihn – dicht an der Wand auf dem Rücken liegend –, und es war ihm schleierhaft,

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