Veni, Vidi, Gucci
jetzt unfair. Es ist nicht so, dass Richard sich mit Thomas keine Mühe gibt oder ihn weniger gern hat, es ist nur so, dass ... Wahrscheinlich hat er ihn tatsächlich weniger gern.
Oh Gott, ich weiß selbst nicht. Unser Sohn ist für uns beide ein Mysterium. Ich habe keine Ahnung, weshalb er so sensibel und launisch und düster ist. Trotzdem versuche ich ihn zu verstehen, einen Draht zu ihm zu finden. Ich mache sogar Fortschritte. Gestern Abend haben wir uns zusammen eine alte Folge von Friends angeschaut. Ich bin nicht sicher, ob Thomas alle Gags verstanden hat, aber immerhin hat er drei Mal laut gelacht. Drei Mal! Das gab es noch nie – das ganze Lachen eines Jahres innerhalb einer halben Stunde. Ich habe immer noch seine Zähne vor Augen. Ein unregelmäßiges, für seinen kleinen Kiefer überdimensioniertes Gebiss. Wo kamen diese großen Zähne auf einmal her? Als ich Thomas das letzte Mal lächeln sah, hatte er noch hübsche weiße Miniquadrate in zwei ordentlichen Reihen. So ungewohnt und schief seine neuen Zähne auch waren, ich fand sie wunderschön. Er war wunderschön.
Thomas und ich sitzen in der Ecke. Ich halte mich an meinem Weinglas fest. Thomas trinkt nichts anderes als Cola light , aber da dieses Haus limonadenfreie Zone ist, steht auch kein Getränk vor ihm.
Wir beobachten, wie Richard und Molly sich durch den Raum vorarbeiten – sie ist wirklich ganz der Vater. Sie hat sein gutes Aussehen, sein Charisma, seine Fähigkeit, offen und natürlich auf andere Menschen zuzugehen. Ich lege den Arm um die Schulter meines Sohnes. Ein Reflex, als Reaktion darauf, dass Richard Molly an die Hand genommen hat und sie gerade auffordert, ihrer Großmutter von ihrem Auftritt als Baum in der Morgenandacht vergangene Woche zu erzählen. Was soll ich sagen? Molly hat den Baum toll gespielt, sie soll Elaine ruhig davon erzählen. Am besten mit dieser tollen Baumstimme, die sie sich ganz alleine ausgedacht hat. Ein heiseres, holziges Flüstern. Genau so, wie ein Baum klingen würde, könnte er sprechen. Beeindruckt und staunend lauschen alle Molly, und Richard erhält anerkennendes Schulterklopfen für seine bewundernswerte Tat, Mollys Vater zu sein.
Aber warum wird Thomas nicht gelobt? Was ist mit dem Hattrick, den er heute Morgen erzielt hat? Am liebsten würde ich aufstehen und laut sagen: Hört mal alle her, Thomas hat heute Morgen in dem Match gleich drei Tore geschossen, UND ALLE MIT DEM LINKEN FUSS! Aber ich könnte die Worte auch herausbrüllen, und es würde niemanden beeindrucken. Dies hier ist Rugby-Land. Bälle sind hier verboten, außer sie sind oval. Richard kennt sich längst nicht so gut mit den Abseitsregeln im Fußball aus wie ich, und es interessiert ihn auch nicht besonders, dass Thomas vielleicht der nächste Wayne Rooney wird.
»Sollen wir in den Garten gehen und ein bisschen kicken?«, flüstere ich Thomas zu.
Sein Gesicht hellt sich kurz auf, verdüstert sich jedoch gleich wieder. »Wir haben keinen Ball.« »Das denkst du. Aber im Kofferraum liegt einer. Ich werde mich jetzt zu unserem Wagen hinausschleichen. Du wartest so lange draußen im Garten auf mich. Wir treffen uns in zwei Minuten am Apfelbaum.« Wir verlassen unauffällig, jedoch für alle sichtbar, das Wohnzimmer, aber keiner registriert es.
15
M ag sein, dass Bob Geldof Montage nicht leiden kann, ich dafür schon. Besonders wenn der Sonntag davor so schlimm war wie gestern. Im Moment stehe ich vor der Waschmaschine und sortiere die Schmutzwäsche. Ich leere gewissenhaft sämtliche Hosentaschen. Oh Mann, das habe ich voll drauf. Man wird nie erleben, dass ich eine knallrote Papierserviette in einer Jeans übersehe und die ganze Wäsche hinterher rosa ist ... ähm, das vor zwei Wochen war ein Ausrutscher.
Ich nehme mir Richards Hose vor, die er anhatte, als er am Samstag nach Hause kam, und ziehe einen zerknitterten Geldschein, die Visitenkarte eines Fernsehproduzenten und einen zusammengefalteten Computerausdruck hervor, der sich als Hotelrechnung für eine Übernachtung im Langham Hilton entpuppt, auf der unter anderem auch Knabbereien, Süßigkeiten und Getränke aus der Minibar aufgeführt sind. Das macht mich stutzig, also schaue ich auf das Rechnungsdatum oben. Freitag, 23. September. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen.
Ein Treffen mit der Forschungsabteilung in Bristol, hat er gesagt.
Der Verkehr auf der Autobahn war ein Albtraum, hat er geflucht.
Ein billiges Zimmer in einem hässlichen Motel, hat er
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