Veni, Vidi, Gucci
ich sie in Zukunft den ganzen Tag, wenn das Baby da ist.«
»Dann weiß es Helen bereits?«
»Ja, ich habe es ihr letzte Woche gesagt«, entgegnet Sureya leise, da sie den Vorwurf verstanden hat, der in meiner Frage unterschwellig mitschwingt. »Hör zu, ich wollte es dir ja schon viel früher sagen – eigentlich schon an dem Abend, als ich bei dir war und du dich so wegen dieser Hotelrechnung aufgeregt hast. Das war nicht gerade die beste Gelegenheit, um dir von meiner Schwangerschaft zu erzählen, oder? Ist diese Geschichte übrigens mittlerweile geklärt? Auf der Party habt ihr jedenfalls einen sehr verliebten Eindruck gemacht.«
»Ach das, ja, das war bloß ein dummes Missverständnis. Völlig belanglos.« Jetzt ist es zu spät, um es ihr zu sagen, nicht? Ich verlagere das Gespräch schnell wieder auf sicheren Boden. »Egal, nicht der Rede wert. In der wievielten Woche bist du?«
»In der einundzwanzigsten.«
»Was?«, schreie ich beinahe. »Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Fran, ich habe es dir doch bereits erklärt. Ich wollte –«
»Ich rede nicht von letzter Woche. Du hättest es mir schon viel früher sagen können. Beispielsweise als du im vierten Monat warst oder so.«
Ich kann selbst nicht glauben, dass ich mit einer Schwangeren schimpfe, aber ich bin wirklich getroffen. Sureya hat Helen, ihrer Tagesmutter, von der Schwangerschaft erzählt, und mir, ihrer Freundin, nicht. Was zum Teufel sagt das über mich aus?
»Es tut mir wirklich leid, aber ich wollte ganz sicher sein, bevor ich etwas sage. Und dann war in den letzten Wochen so viel los, und du warst schließlich genug mit dir selbst beschäftigt.«
»Was soll das heißen?«
»Nun, du musst zugeben, dass du dich in letzter Zeit ein bisschen in ...« Sie sucht nach den richtigen Worten. »... in deinem Schneckenhaus verkrochen hast. Sei ehrlich, das hat doch nicht erst mit der Hotelrechnung angefangen, oder?«
Ich schweige. Ich bringe kein Wort hervor.
»Fran? Ich verstehe dich, wirklich – Richards Beförderung war ganz schön hart für dich. In vielerlei Hinsicht.«
»Was hat denn das damit zu tun?«, frage ich.
»Schön, ich weiß, du hältst nicht viel von einer Therapie, aber ich glaube, dass du an einer Depression leidest. Ich denke, du solltest mit jemandem reden.«
»Aber dafür habe ich doch dich, oder?«, kontere ich. Mein Standardspruch, wenn Sureya von einer Therapie anfängt, aber heute kommt er mir nicht so scherzhaft über die Lippen wie sonst. Er klingt eher gehässig, und ich bedaure sofort meinen Ton.
Sureya geht allerdings darüber hinweg und sagt: »Weißt du, ich frage mich, ob du dich jemals richtig von deiner postnatalen Depression nach Mollys Geburt erholt hast. Ich habe gehört, das kann Jahre –«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, falle ich ihr patzig ins Wort. Scheiß auf mein starkes, neues Ich. Ich will nicht über meine angebliche postnatale Depression oder über eine Therapie oder ähnlichen Mist reden. »Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen. Ich habe das Bügeleisen oben angelassen.«
»Oh«, erwidert Sureya, und das Bedauern in ihrer Stimme macht mir prompt ein schlechtes Gewissen, aber ich lasse mich dennoch nicht erweichen.
»Sorry«, füge ich völlig überflüssigerweise hinzu.
So überflüssig, dass ich darauf nur ein Schweigen erhalte.
»Jedenfalls gratuliere ich dir zu deiner Schwangerschaft. Wir reden ein anderes Mal weiter, okay?« Dann lege ich auf.
Danach gehe ich postwendend zum Kühlschrank und nehme den Chardonnay heraus. Wenn man Probleme doch nur mit Alkohol und Zigaretten lösen könnte. Dann hätte ich keine mehr. Aber nein, stattdessen schiebe ich einen Hass auf mich selbst. Wie konnte ich zu der liebsten Freundin, die ich je hatte, nur so ätzend sein? Sureya war immer für mich da. Ich weiß noch genau, wie unsere Freundschaft begann. Das war, nachdem Thomas auf der Welt war – mein wunderschöner, rehäugiger, wie am Spieß brüllender neugeborener Sohn, der nur selten schlief, genau wie seine Mutter. Die anderen Mütter, die ich im Park oder im Supermarkt sah, wirkten alle so ausgeglichen. Wenn sie mit ihrem voll beladenen Einkaufswagen und ihren Kindern an der Kasse standen, sah das immer wie ein Ausflug ins Legoland aus. Bei mir war das ein bisschen anders. Ich war in miserabler Verfassung und konnte mich über meinen hinreißenden Sohn, den ich so sehnsüchtig erwartet hatte, gar nicht richtig freuen. Die Tage und Nächte gingen nahtlos ineinander über.
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