Verbannte der Ewigkeit
eingesperrt gewesen und verhört worden, weil er nicht tatenlos zugesehen hatte. Danach war er auf eine Odyssee durch den Kontinent gegangen, bis er schließlich in New York und in Jim Barretts Appartement im Unteren Manhattan eintraf.
Er war zu diesem Zeitpunkt kaum älter als siebzehn Jahre – was Barrett nicht ahnte, denn Valdosto besaß breite Schultern und einen kräftigen Körper mit allerdings völlig unproportionalen Beinen. Er trug langes, verwildertes Haar, und in seinen Augen brannte ein fanatisches Feuer. Nichts in seinem Auftreten oder seinen Worten verriet sein junges Alter. Barrett fand nie heraus, ob es bei Valdosto ein natürlicher Vorgang gewesen oder ob er unter den Qualen der wochenlangen Verhöre um Jahre gealtert war.
»Wann beginnt die Revolution, wann fangen wir an, sie alle umzubringen?« war seine erste Frage.
»Wir werden niemanden umbringen«, sagte Barrett zu ihm. »Wir wollen kein Blut vergießen, wenn es soweit ist.«
»Damit erreichen wir nichts! Wir müssen den Kopf des Feindes wie den einer giftigen Schlange zertreten!«
Barrett zeigte ihm, wie er sich den Verlauf der Revolution vorstellte; das Konzept, nach dem der Kanzler und der Syndikats-Rat verhaftet wurde, wie die jungen Offiziere der Armee das Kriegsrecht verhängten und der neue Oberste Gerichtshof die alte Verfassung von 1789 wieder in Kraft setzen würde. Valdosto besah sich die Sache, rieb sich die Nase und brummte: »Oh, nein, das klappt niemals. Ihr könnt doch nicht hoffen, das Land zu regieren, sobald die zwölf wichtigsten Leute eingesperrt sind.«
»Immerhin klappte es 1984«, betonte Barrett.
»Da bestanden auch ganz andere Voraussetzungen. Die Regierung war praktisch handlungsunfähig, man hatte sogar nicht einmal einen Präsidenten, wenn ich nicht irre. Aber jetzt haben wir Leute da oben, die fest im Sattel sitzen. Der Schlangenkopf ist viel größer, als du denkst, Barrett. Wir müssen noch viel weiter gehen, als nur die Syndikalisten auszuschalten. Danach kommen die Bürokraten, die kleinen Despoten, die so verliebt in ihre Pöstchen sind, daß sie alles tun, sie sich zu erhalten. Diese Art Leute, die auch meinen Vater umgebracht haben. Sie müssen verschwinden!«
»Es gibt Tausende von ihnen«, sagte Barrett erschrocken. »Sollen wir den gesamten öffentlichen Dienst exekutieren?«
»Nein, natürlich nicht alle, aber die korrupten, und das sind die meisten!«
Das Beängstigende an Valdosto war, daß er nicht einfach wilde, gewaltsame Vorschläge heraussprudelte, sondern auch noch zutiefst von der Richtigkeit seines Vorgehens überzeugt war. Eine Stunde, nachdem Barrett ihn kennengelernt hatte, traute er ihm schon zu, ein Dutzend Morde begangen zu haben. Später allerdings fand er heraus, daß Valdosto noch ein Kind war und nichts anderes wollte, als seinen Vater rächen. Trotzdem wurde er nie den Eindruck los, daß Valdosto keine Skrupel besaß. Er erinnerte ihn manchmal an den neunzehnjährigen Bernstein, der ebenfalls politische Morde zur Lösung der Probleme vorgeschlagen hatte, dessen Blutgier aber nie über ein Stadium kindlicher Revolutionsphantasie hinausgekommen war. Valdosto dagegen bot sich als derjenige an, der Jacks Traum von einer Revolution verwirklichen konnte. Gott sei Dank war Bernstein nicht mehr so in die Untergrundarbeit eingespannt, denn mit Unterstützung Bernsteins wäre Valdosto sicherlich in der Lage gewesen, allein auf Rache auszuziehen.
Statt dessen wurde er Barretts Zimmerkamerad – das ergab sich ganz zufällig. Valdosto benötigte einen Schlafplatz während seiner ersten Nacht in New York, und Barrett bot ihm eine Couch an. Natürlich hatte Valdosto kein Geld, sich eine Wohnung zu mieten, und so blieb er länger als geplant bei Barrett, bis er schließlich nach zwei Wochen sagte, daß er ruhig länger bleiben könnte.
Die beiden kamen gut miteinander aus, trotz des gewaltigen Altersunterschiedes und der gegensätzlichen Temperamente. Barrett bemerkte sogar, daß Valdosto auf ihn einen belebenden Effekt hatte. Denn obwohl er gerade die Dreißig erreicht hatte, fühlte er sich manchmal doch schon viel älter, oft sogar greisenhaft. Fast die Hafte seines Lebens hatte er aktiv im Untergrund verbracht, und die Revolution rückte immer mehr in die Ferne, war nur noch eine Angelegenheit von Geheimtreffen und dem Verteilen von Flugblättern. Ein Arzt, der laufend tropfende Nasen behandelt, kommt sicherlich später nicht auf die Idee, daß er einen Beitrag zur Beseitigung des
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