Verborgen
einen Zuckerwürfel hinein und rührte mit klingendem Löffel um. »Mein Sohn ist ja ziemlich oft bei euch hinten. Benimmt er sich denn anständig?«
Weigert ihr euch aber und seid ungehorsam , so sollt ihr vom Schwert gefressen werden ; denn der Mund des Herrn sagt es.
»Ich merke nicht viel von ihm. Hab zu viel zu tun.«
»Er ist ein guter Junge.« Adamidis sah Ben unverwandt an. »Er braust schnell auf. Das hat er von mir. Aber er hat Köpfchen. «
»Ja, scheint ein gescheiter Kerl zu sein.«
»Ich mag’s, wenn er hier herumhängt. Er sagt, er hat keine Lust, so ein Restaurant zu führen. Das ist nichts für ihn, sagt er. Politik, das ist angeblich sein Ding. Spricht er mit dir darüber?«
»Nein, nie.«
»Na gut. Mit mir auch nicht mehr. Väter und Söhne sollten nicht über Politik reden. Sagt er. Hast du das gesehen?«
Er stieß die Zeitung in Richtung Fernseher. Der Priester war verschwunden. Ein geteilter Bildschirm zeigte zwei Männer in heftigem Streit. Bis zu den Parlamentswahlen waren es noch zehn Tage. In der letzten Woche war der Wahlkampf von kompliziert auf hysterisch hochgefahren, und im Fernsehen wurden Großkundgebungen und glotzäugige Marathondebatten übertragen.
»Das ist Politik. Drei Monate lang Männer in schlecht sitzenden Anzügen, die sich bemühen, nicht wie Teppichhändler auszusehen«, sagte Adamidis. »Gott schütze uns vor den Politikern. « Doch Ben hörte nicht mehr zu. In der Ecke hinter dem Fernseher saß allein an einem Tisch Eberhard Sauer.
Er wandte dem leeren Raum den Rücken zu, doch Ben erkannte ihn sofort. Er war groß, so groß und dünn, dass es immer schien, als säße er etwas unbequem. Sein blondes Haar, schon schütter, als Ben ihn kennengelernt hatte, war glatt zurückgekämmt. Er war in Hemdsärmeln; sein Jackett hing ordentlich über der Stuhllehne. Vor ihm lag ein aufgeschlagenes Buch. Er las mit geneigtem Kopf, wie jemand, der auf ein Echo horcht.
»Ich muss wieder an die Arbeit«, sagte Ben. Unter Adamidis’ zustimmenden Worten (»Klar, lass dich nicht aufhalten. Und mach irgendwas, ein paar Kleinigkeiten, die ich später servieren kann.«) stand er auf und ging zur Küchentür, ohne Sauer aus den Augen zu lassen, als könnte er plötzlich verschwinden.
Gelächter drang aus der Küche. Er war schon halb durch die Schwingtür, doch Eberhard rührte sich nicht, sah nicht einmal von seinem Buch auf. Auf seinem Tisch standen neben der um den Gewürzständer aufgestellten Speisekarte eine Wasserflasche mit einem darüber gestülpten Trinkglas und ein Brotkorb, alles noch unberührt. Wenn er zum Essen in das Restaurant gekommen war, hatte er es schon wieder vergessen. Er hätte auch in einer Bibliothek sitzen können, in der Sackler Library etwa, in der Ben ihm einmal begegnet war – eine hochgewachsene, düstere Gestalt –, im Centre for the Study of Ancient Documents oder auch in Foyts Zimmer mit den Bronzen und den Veilchen.
Ben drehte sich mechanisch um und betrat die Küche. Modest erzählte unter unbändigem Gekicher seinen Witz zu Ende, und die anderen lachten, ohne auf die Pointe zu achten. Ben spürte eine Hand auf seiner Schulter, und als er aufsah, stand Kostandin neben ihm.
»Hör dir das an, hör zu! Da ist also dieser einbeinige Bettler und der dreibeinige Hund. Der Bettler geht von Tür zu Tür und bittet um etwas zu essen, aber jedes Mal…«
»Jetzt nicht. Erzähl’s mir später.«
»Klar. Alles okay mit dir?«
»Ja, ja.«
»Siehst aber nicht so aus.«
»Da drin sitzt jemand, den ich kenne.«
»Aus England? Ein Freund?«
»Ein Freund nicht direkt.«
»Und der soll dich nicht sehen?«
»Genau.«
Er ging an Kostandin vorbei zu den Spießen und stach in das Fleisch, um zu prüfen, wie weit es war. Er wünschte sich besser nicht, mit Eberhard zusammenzutreffen. Sie waren sich lange nicht mehr begegnet, jedenfalls nicht, seit Emine ihn verlassen hatte. Aber Eberhard kannte natürlich Foyt. Von Foyt musste er wissen, wie die Dinge standen.
Ein heißes Blutrinnsal lief über den Messergriff, und er fluchte, ging erneut an Kostandin vorbei und hielt die Brandwunde unter kaltes Wasser. Seine Hände schmerzten schon von einem Dutzend anderer Verbrennungen. Nein, er wünschte sich besser nicht, mit Eberhard zusammenzutreffen. Doch sein erster Impuls, als er ihn gesehen hatte, war nicht gewesen, ihm aus Scham oder irgendeinem anderen Grund aus dem Weg zu gehen. Er hatte daran gedacht, mit ihm zu reden.
»Was will er in
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