Verborgen
Lächerlich, so etwas, egal, ob im Wachen oder im Schlafen. Er hatte gar nichts davon gewusst, bis sie es ihm am Morgen erzählte, mit glänzenden Augen, als sei er auf einmal ein strahlender Held geworden.
Er erinnerte sich an die Woche, die sie in Irland verbracht hatten, in der Grafschaft Antrim, vor dem Kind, sogar noch vor der Hochzeit. Es war in den Sommerferien, und in Oxford war es unerträglich wegen der Schwüle und der vielen Touristen. Sie hatten das Hotel für ein Butterbrot im Internet gebucht. Am ersten Morgen hatte jemand an die Tür gedonnert, mit schwerer Hand, wie ein Polizist vielleicht, und als er aufmachte – erschrocken, kalt von Schweiß, die rosa Bettdecke um seine knochigen Flanken gewickelt, auf einmal voller Rücksicht auf das katholische Mädchen in dem Bett hinter ihm –, stand da nur ein Servierwagen mit einem üppigen Frühstück; Räucherlachs und Eier Benedikt unter den Wärmehauben, Kartoffelpuffer in Metallgestellen, Butterlocken. Gebügelte Zeitungen und ein paar Wildrosen; und niemand zu sehen, es kam ihnen vor wie ein Streich von Kindern oder freundlichen Kobolden.
Zwischen der Teekanne und der Cafetière steckte eine Karte vom Hotel, die unter den vielen anderen Sachen fast unterging: Fröhliche Flitterwochen von allen in The Hurdles! Sie hatten überlegt, ob sie den Servierwagen zurückschicken sollten, bis sie unter die Wärmehauben schauten. Dann hatten sie alles weggeputzt.
Satt und faul hatten sie hinterher die Prospekte durchgeblättert, die für die verschiedensten lokalen Veranstaltungen warben – eine Abendandacht unter freiem Himmel, einen Bauernmarkt – , doch sie entschieden sich für einen Jahrmarkt: die Fotos zeigten alte Karussells, eine Rutsche, Dampflokomobile. Der Jahrmarkt sollte an diesem Wochenende in einem Marktflecken am gegenüberliegenden Ufer eines Sees stattfinden, nur einige Kilometer Luftlinie von ihrem Hotel entfernt. Bei der Rezeption lagen Karten der Umgebung, und sie gingen hinunter und planten gemeinsam den Fußmarsch. Es waren dann doch zwölf Kilometer, und als sie ankamen, waren sie müde und durchnässt von den sommerlichen Regenschauern.
Und der Jahrmarkt war schon geschlossen. Daran erinnerte er sich. Sie waren um die Ecke auf den Dorfplatz gekommen – Linen Square hatte er geheißen –, und hatten gesehen, dass die Fahrgeschäfte alle schon einpackten. Die Karussells wurden zusammengeklappt wie riesige Regenschirme, die Dampflokomobile wurden rückwärts auf Lastwagen verladen, wie große Ackergäule. Zuckerwatte war in den Schlamm der ramponierten Wiese getrampelt.
Sie mussten den Prospekt falsch gelesen haben, darüber waren sie sich einig, doch als sie zurückkamen, war ihr Zimmer aufgeräumt worden, so dass sie keine Gewissheit bekamen. Emine hatte auf dem Heimweg geweint und sich selbst dafür getadelt, weil es letztlich doch völlig egal gewesen sei. Aber irgendwie war es doch wichtig gewesen. Weil sie sich so darauf gefreut hatten und dann enttäuscht worden waren. Es war schrecklich und unheilvoll gewesen, als wären sie zu ihrer eigenen Hochzeit zu spät gekommen.
Er erinnerte sich daran, dass er einmal im Haus des Geliebten seiner Frau gewesen war. Es trafen immer noch weitere Gäste ein – bekannte Gesichter, Dozenten und Studenten, vom Regen aufgehalten –, aber die Räume waren bereits mit unzeitgemäßen Blumen vollgestopft. Uniformierte Mädchen lehnten an der Küchentür, für den Nachmittag angeheuert und bereits müde vor Langeweile, darauf wartend, undankbare Gäste zu bedienen.
»Gefallen sie Ihnen?«, fragte Foyt ihn, und einen bestürzenden Moment lang dachte Ben, er meine die Hostessen.
Was hatte er erwidert? Die vielen Blumen – Schnittblumen generell – erinnerten ihn an eine Beerdigung, aber das hätte er Foyt nicht gesagt. Er hatte gewünscht, er wäre später gekommen oder überhaupt nicht. Er dachte, dass es ein Fehler gewesen sei, dass er sich das nicht hätte zumuten sollen, nur um seine Frau und seine Tochter zu sehen.
Warum war er gekommen? Er musste verrückt gewesen sein. Er hatte daran gedacht, den Mann umzubringen, hatte unter den Bäumen vor seinem Haus gestanden, eines Nachts, und sich verschiedene Möglichkeiten vorgestellt. Er dachte, dass es bereits ihr Zuhause war, obwohl sie die Wohnung behalten hatte. Sie hatte schon begonnen, dem Haus ihres Liebhabers ihren Stempel aufzudrücken. Auch in Abwesenheit war sie da, in den locker-unordentlichen Stillleben der Blumensträuße,
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