Verdacht auf Mord
immerhin noch die Beine bewegen.
»Ich geh rüber und schau mal nach«, sagt er.
Seine Stimme klingt belegt, als würde er im Schlaf sprechen. Er ist größer als die anderen und hat schwarzes, zurückgekämmtes Haar. Er verschwindet in die Richtung, in die sie Filippa gezerrt haben.
»Verdammt, lasst mich nicht hier«, ruft der Bleiche dem anderen hinterher, bleibt aber weiter rittlings auf mir sitzen.
Aber jetzt kann er sich nicht mehr konzentrieren. Sein fester Griff um meine Handgelenke wird schwächer. Er wird nervös, vielleicht will er hinter den anderen her, denn er dreht sich die ganze Zeit um. Vielleicht fühlt er sich genauso verlassen wie ich?
Gerade als ich mir das zunutze machen und mich freistrampeln will, höre ich Filippas Schrei von hinter dem Haus. Wie ein Schwein, das abgestochen wird. Ein verzweifelter Schrei steigt zum Himmel. Ich werde wütend. Ich reiße mich los, springe aus dem Sand auf, falle noch einmal aufs Gesicht, als der Bleiche mein Handgelenk packt. Das Nasenbluten wird schlimmer, warm und klebrig, aber ich spüre das kaum. Ich versetze ihm einen Tritt, um mich zu befreien, stehe auf und eile humpelnd in Filippas Richtung. Der Bleiche ist mir zwischen den Häusern hindurch auf den Fersen, aber ich habe wieder Kraft in den Beinen und renne wie verrückt.
Ich bleibe stehen, als es nicht mehr weitergeht. Der Bleiche, der hinter mir hergekommen ist, versetzt mir einen Stoß. Dann stehen wir da, sehen drei Paar Augen. Und Filippas gespreizte Beine, sodass die Scheide zu sehen ist. Zwei der Jungen haben die Hosen heruntergelassen. Die Unterhosen auch. Filippa wie weggeworfen auf einem großen Stein. Ihr Kleid hängt ihr unter den Achseln, und die rosa Stoffschuhe hat sie noch an. Rot und rosa, wie hingeworfene Teile von Filippa. Unterhalb des Steins wachsen Brennnesseln.
Alles kommt zum Stillstand. Eine halbe Sekunde stehen wir wie versteinert da.
Dann mache ich kehrt. Dränge mich an dem Bleichen vorbei und renne erneut um mein Leben. Auf den Spielplatz, über die Wiese und auf den Friedhof zu. Höre es hinter mir keuchen, wie Hunde, Raubtiere, die immer näher kommen. Und dann packt mich einer. Zieht mich am Arm und schlägt mir in den Nacken. Ich bekomme fast keine Luft mehr. Falle auf den glatten Rasen. Rutsche weiter. Sie sind zu zweit. Und sie schleppen mich unerbittlich zurück. Schleifen mich jeder an einem Bein hinter den niedrigen Schuppen.
Filippa sitzt immer noch wie eine schmutzige Puppe auf dem Stein. Ihr Gesicht ist tränenverschmiert, und sie schaut zu Boden.
»Und du hältst die Schnauze«, sagt der Blonde und sieht mich finster an.
Ich antworte nicht.
»Ehrenwort?«
Ich schweige weiter.
»Du warst nie hier.«
Ich sage immer noch nichts.
»Ist das klar? Du hast uns nie gesehen.«
»Am besten, wir bringen es ihm gleich bei«, sagt der Haarlose, als ich nicht antworte.
Ich spüre Hände, die mich auf die Erde zerren und nach unten drücken. Dann nimmt einer von ihnen seinen Schwanz raus.
Und pinkelt mir ins Gesicht.
Mama badet Filippa in der Badewanne. Vermutlich hat sie ihr ein Schaumbad eingelassen. Papa sieht mich ernst an.
»Es gibt nichts Verwerflicheres als zu lügen«, sagt er mit rauer Stimme, und ich bin so müde, dass ich fast bereit bin, allem zuzustimmen.
Ich habe den Kopf gesenkt, versuche, den Hals nicht zu verspannen, weil es dann nicht so wehtut, wenn die Schläge kommen.
»Sieh mir in die Augen«, sagt Papa.
Ich werfe einen raschen Blick in seine steinerne Miene. Unter einem Auge zuckt es. Das verheißt nichts Gutes. Das weiß ich.
»Ach, du wagst nicht mehr als einen kurzen Blick«, sagt Papa, und jetzt klingt seine Stimme sehr nachdenklich. »Ein Mensch mit einem reinen Gewissen wagt es, anderen in die Augen zu schauen. Und kann man das nicht, muss man es lernen.«
Ich zwinge meine Augen wieder nach oben, habe meinen Kopf aber immer noch zwischen den hochgezogenen Schultern. Einen kurzen Moment lang starre ich meinem Vater geradewegs in die Augen.
»Du sollst mich nicht anstarren«, sagt Papa. »Du sollst mich mit geradem, mutigem Blick ansehen. Nicht so finster.«
Okay, denke ich, hebe den Kopf ein wenig und versuche, gerade und mutig zu blicken. Ich versuche es wirklich, aber es hilft nichts. Und das weiß ich natürlich. Die Schläge setzt es trotzdem immer.
»Dir ist doch wohl klar, dass ich dir beibringen muss, nicht zu lügen. Man sieht es dir an, dass du lügst. Ich muss dir beibringen, keine Missetaten zu begehen«,
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