Verdacht auf Mord
schweißgebadet und hasserfüllt aufwachen würde, dann hätte ich diese Zeit kaum überstanden. Diese Hölle hält mich seltsamerweise auf den Beinen. Wut und Erregung zwingen mich in die Stadt, um zu spionieren, um zu sehen, ohne gesehen zu werden. Trotz eisigen Winters.
Weihnachten war eine seltsame Mischung aus Gemütlichkeit und Weihnachtsmann bei Mama in Göteborg, gleichzeitig war es, wie allein auf einer einsamen Insel zu sitzen. Mama hat eine gute Arbeit. Sie hat auf dem Sozialamt in Partille angefangen, schließlich ist sie gelernte Sozialarbeiterin. Sie war verändert, als sei sie in eine neue, schönere Welt gekommen. Die Ringe unter ihren Augen waren verschwunden. Aber wir fehlen ihr. Sie weiß, dass es keinen Sinn hat, deswegen Streit anzufangen. Daher sprach sie kaum davon, dass wir zu ihr ziehen sollten, was gut war, denn es hätte die Lage nur noch verschlimmert.
Wo Papa über Weihnachten war, weiß ich nicht so genau. Vermutlich ist er in so ein Wellness-Hotel gefahren und hat sich in den Whirlpool gelegt.
Melinda ist ständig in mir.
Und dieser widerliche Typ.
Sobald ich aus Göteborg zurück war, kontrollierte ich, dass Melinda noch da war. Also im wirklichen Leben. Manchmal fragt man sich ja schon. Vielleicht war sie ja nur ein Gespenst gewesen, das sich in meinem Kopf festgesetzt hatte?
Ich stehe vor dem Zaun im Schatten, wo das Licht der Laternen nicht mehr hinkommt, um nicht gesehen zu werden. Sehe durchs Fenster des Hauses, wie sie aufsteht. Mein Herz fängt an zu klopfen, und ich werde fast verrückt. Sie existiert. So viel ist sicher. Sie existiert und ist lebendiger als die meisten. Sie lebt in mir.
Die Sportferien im Februar waren zäh. Sie ging irgendwo Ski fahren. Dann kam sie zurück. Sie schleicht sich immer noch zu diesem Typen. Und ich folge ihr lautlos wie ein Schatten.
Es wurde dann seltsamerweise doch Frühling. Das macht das Leben einfacher, weil ich nicht mehr frieren muss. Ich treibe mich meist draußen rum. Habe nicht die Ruhe, zu Hause zu sitzen. Wie Juckpulver am ganzen Körper. Ich muss immer wissen, wo sie steckt.
Eines Tages sehe ich Melinda nach der letzten Stunde auf einer Bank in einem der Korridore der Schule sitzen. Ich verschwinde auf der Toilette, während sich der Korridor leert. Dann lösche ich das Licht und mache die Tür einen Spaltbreit auf. Sie sitzt mit einem Buch auf der Bank. Ich lasse die Tür offen stehen und sitze mucksmäuschenstill auf dem Deckel der Toilette und beobachte sie wie verhext. Ich wage kaum zu atmen.
Mir ist natürlich klar, auf wen sie da wartet. Dafür braucht man keinen sonderlich hohen IQ, um sich das auszurechnen. Noch dauert es mehrere Stunden, bis die Alarmanlage der Schule eingeschaltet wird. Ich habe die Zeiten im Kopf.
Andererseits wird der blöde Typ schon dafür sorgen, dass sich Melinda rechtzeitig auf den Weg macht.
Sie sitzt also auf der Holzbank und tut so, als würde sie lesen, als der Typ an ihr vorbeischarwenzelt. Ich kann sie deutlich durch den Türspalt sehen. Nachdem sie aufgestanden ist und mir den Rücken zugekehrt hat, folge ich ihr lautlos. Ihr Rücken ist schmal und aufrecht, ihr Haar silberhell und weich gewellt. Wenn ich mir vorstelle, wie ich mit den Fingern hindurchfahre, kribbelt es im ganzen Körper.
Unsere Schuhe berühren auf dem leeren Korridor fast nicht den Fußboden. Wir schweben förmlich. Die Vorsicht sitzt uns in den Knochen. Wie gewandten Nachttieren.
Sie folgt dem Alten.
Bis zu einem Klassenzimmer ganz hinten am Ende des Korridors, dicht gefolgt von mir. Ich verstecke mich hinter ein paar Schränken, als sie in dem Klassenzimmer verschwinden. Kaum hörbar wird die Türe vorsichtig geschlossen. Ich schleiche ein paar Schritte vor und lege das Ohr an den Türspalt.
Leise Stimmen. Es ist nichts zu verstehen. Der Typ macht vielleicht Witze, denn sie kichert. So viel höre ich. Dann schmatzende Geräusche und Stille, lang wie eine Ewigkeit. Ich muss an mich halten, um nicht zu platzen oder die Tür aufzureißen. Sie wimmert leise. Jenseits der Türe zerreißt es mir förmlich das Herz. Denn dieses Wimmern ist von Wollust erfüllt. Sie genießt es, die Schlampe! Mit diesem Schwein!
In meinem Kopf spielt sich einfach alles ab. Der Missbrauch des Alten. Seine rhythmischen Stöße, schneller und immer schneller. Und sie, die sich diesem Ekel hingibt. Sie sollte es besser wissen! Aber dieser Typ hat sie betrogen. Hat ihr eine Menge Lügen vorgeleiert, ihr was vom Sinn des Lebens
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