Verdacht auf Mord
strich sein Haar zurück, das ihm in die Stirn gefallen war; Seine Hände zitterten.
»Ja. Der richtige«, erwiderte der Weißgekleidete knapp.
Wie eine gejagte Ratte, dachte Bodén und suchte den weißen Kittelaufschlag nach dem Namensschild ab. Er zwang sich zu fokussieren, seinen Blick zu schärfen. Schwarze Buchstaben auf hellem Grund. Und dann sah er, was dort stand.
Vor Schreck blieb ihm fast das Herz stehen. Er ließ seinen Blick langsam nach oben gleiten, aber nach wie vor den Kopf gesenkt. Gab sich geschlagen. Bettelte wortlos um Gnade.
Abwartend und gespannt standen sie sich gegenüber. In Bodéns Ohren toste es wie nie zuvor. Ein Orkanwind schüttelte ihn. Noch nie hatte er sich einem Herzinfarkt so nahe gefühlt. Dem Tod. Seine Brust schmerzte, und sein Mund war trocken.
Der Mann vor ihm bestand jedoch aus Eis. Oder Hass. Er kannte kein Erbarmen.
Aber warum?
Er hegte einen bestimmten Verdacht. Aber es fiel ihm schwer, ihn in Worte zu fassen. Er räusperte sich und versuchte, seine Stimmbänder in Gang zu bringen.
»Wie merkwürdig, dass ich Sie hier treffe«, sagte er und lächelte automatisch und einschmeichelnd.
Besser noch einmal mit dem ganzen Mund lächeln, bevor ihn die Gesichtslähmung erwischte.
»ja, nicht wahr«, erwiderte der junge Mann, der mindestens einen Kopf größer war als Bodén.
Der Weißgekleidete trat einen Schritt auf ihn zu. Bodén versuchte zurückzuweichen, eine Bewegung, die ihm Mühe bereitete. Er schwankte. Mit Entsetzen sah er, wie der Ärztekittel gleichsam größer wurde, wuchs. Der Mann näherte sich ihm wie ein keuchender Stier.
Die Angst packte ihn. Langsam begriff er, was Sache war. Er wollte verhandeln. Den jungen Mann besänftigen.
»Können wir nicht darüber sprechen?«
»Ich glaube, es ist alles gesagt.«
»Ach?«
»Waren das damals nicht auch Ihre Worte? ›Dazu ist alles gesagt.‹«
Die Augen hasserfüllt aufgerissen. Das Gesicht bleich und starr. Kein Erbarmen. Keine Gnade.
Bodén drehte sich um, stolperte ein paar Schritte. Kam aber nicht weit. Spürte einen Arm um seinen Hals. Der Arzt warf sich von hinten auf ihn. Drückte sich gegen ihn, während sein Arm seinen Kehlkopf zusammendrückte. Ihm wurde übel, er wollte sich befreien, brauchte Luft. Er versuchte den Arm wegzureißen, der immer fester zudrückte. Seine Fingernägel krallten sich in den glatten Stoff des Ärztekittels. Er schlug auf den Unterarm des Mannes, aber nichts half. Der Druck nahm nur weiter zu. Die Schmerzen waren bald unerträglich. Entsetzen. Luft. Alles würde er für einen einzigen Atemzug geben.
Er wurde vorwärts gestoßen. Wohin, wusste er nicht. In einen fensterlosen Verschlag. Vielleicht tat er sich dabei weh. Sein Bein schmerzte. Aber das war nichts, verglichen damit, keine Luft zu bekommen. Sein Kopf schmerzte. Seine Kehle wurde zusammengepresst. Unerträgliche Schmerzen. Der Arm drückte gnadenlos zu. Irgendwo war etwas nass. Er hatte in die Hose gemacht. Vielleicht auch mehr. Wusste es nicht. Er zuckte. Seine Arme fielen herab. Er stürzte. Milchig und leer. Jemand atmete stoßweise. Ein dumpfer Knall weit weg.
Dann nichts mehr.
Veronika baute sich gut sichtbar vor der großen Cafeteria in der Eingangshalle auf. Es saßen jetzt bedeutend weniger Leute dort. Die meisten Tische waren leer. Sie wusste nicht, wie Cecilias Freundin aussah. Sie hieß Ester, und sie hatte eine gewisse Vorstellung davon, wie sie aussehen könnte. Dunkle Kurzhaarfrisur und braune Augen.
An dem riesigen Arbeitsplatz war Schichtwechsel. Ein Menschenstrom bewegte sich auf den Ausgang und weiter auf die Parkhäuser oder auf die Fahrradständer hinter dem asphaltierten Wendeplatz zu. Veronika wusste, dass sich alle nur wegsehnten. Das tat sie auch. Die Sehnsucht nach frischer Luft war in einem Krankenhaus mit seinen lichtlosen Korridoren, abgeschotteten Patientenzimmern, Untersuchungszimmern und gelegentlich sogar fensterlosen Büros konstant.
Gerade eben war sie zufällig auf einen Mann von daheim gestoßen, aber der schien sie nicht erkannt zu haben. Wahrscheinlich war er krank, deswegen war er vermutlich auch hier. Er hatte sich in Gesellschaft eines jungen Arztes befunden, dessen Gesicht ihr ebenfalls irgendwie bekannt vorgekommen war. Vielleicht sein Sohn. Die Welt war kleiner, als man glauben könnte.
Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, aber ihre Sonnenbräune aus Griechenland ließ sie erholt aussehen. Sie zog einen Lippenstift aus der Tasche und zog ihre Lippen nach, als
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