Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
für diese Aufgabe aufgeboten. Weiter dreht das Luftschiff, die Nase muß in den Wind. Die Soldaten ziehen es Schritt für Schritt herum. Dabei werden sie selbst auch gezogen und haben Mühe, im Takt zu bleiben. Jetzt lassen sie alle zugleich die Taue fallen, wohl auf ein Zeichen hin, denn der Motorenlärm würde alle Kommandos verschlucken. Der Horizont neigt sich, es geht in die Höhe. Zugleich nimmt das Schiff Fahrt auf. Schnell schrumpfen die Menschen auf dem Boden zu kleinen, dann winzigen Figuren. Über die Hasenheide hinweg gleitet der lange Schatten des Zeppelins, dann über Häuserblocks. Auf allen Dächern Menschen, die winken und Fähnchen schwenken. Das Schiff steigt stetig, weit breitet sich das Häusermeer von Berlin aus.
Seiler staunt. Ein phantastischer Ausblick ist das. Omnibusse und Fuhrwerke kriechen wie Käfer die Straßen entlang, Menschen wimmeln wie Ameisen. Da unten ist schon der Dom, golden blitzt das Kreuz auf der grünen Kuppel. In der Ferne der Grunewald, dahinter glitzert die blaue Wasserfläche der Havel in der Sonne.
Er wirft einen raschen Blick auf seine Mitreisenden, aber sie schauen alle wie gebannt aus den Fenstern. Auch Admiral Sir John Jellicoe vor ihm, dem er als Ehrenordonnanz zugeteilt ist.
Tapken hat das so eingefädelt. Der Admiral und Lady Jellico besuchen Deutschland anläßlich der Hochzeitsfeierlichkeiten von Prinzessin Viktoria Luise, des Kaisers einziger Tochter. Die höchsten der erschienenen Staatsgäste, die Cousins des Kaisers Zar Nikolaus II . und König George V., sind nicht mit an Bord. Vielleicht traut man diesen Luftschiffen doch noch nicht so ganz, denkt Seiler.
Die Kabine ist lang, aber recht eng, viel schmaler als ein Straßenbahnwagen. Auf jeder Seite des Mittelganges gibt es nur eine Reihe leichter Korbstühle und sechs Fenster. Die sind allerdings so groß wie die in einem Omnibus. Der Innenraum ist mit dunklem Mahagonifurnier ausgelegt und mit Perlmuttplättchen verziert. Das sonore Brummen der Motoren wirkt inzwischen nicht mehr so störend. Seiler kann sogar das Knarzen seines Korbsessels hören, als er sich nach dem Adjutanten des englischen Admirals umwendet.
Der ist so um die Mitte Dreißig, hat auffallend abstehende Ohren und trägt die schmucke Uniform der Royal Navy. Er ist ihm als Senior Lieutenant Gordon vorgestellt worden, aber Seiler nimmt an, daß das nicht sein richtiger Name ist. Den echten kennt er zwar nicht, aber Steinhauer hat ihn informiert, es handle sich bei dem angeblichen Adjutanten um einen Agenten des Secret Service. Und zwar um denselben Mann, der ihn letztes Jahr während der Kieler Woche beschattet haben soll. Auf dem Weg hinaus zum Tempelhofer Feld hat Steinhauer vorgeschlagen: » Unterhalten Sie sich mal ein wenig mit ihm. Wer weiß, vielleicht kommt was Interessantes dabei heraus.«
Ihre Blicke kreuzen sich, und der Lieutenant nickt ihm zu. Seiler erwidert den Gruß. Ein seltsames Gefühl, mit diesem Gordon in derselben Kabine zu sitzen. Der wird natürlich über ihn Bescheid wissen. Ob sich was aus ihm herauslocken läßt? Zwei Stunden soll der Rundflug dauern, aber es gibt währenddessen kaum eine Möglichkeit, mit ihm zu sprechen. Nach der Landung will er es jedenfalls versuchen.
Wieder auf festem Boden, gibt es ein Glas Champagner für alle. Jellicoe bringt einen Toast aus, zuerst auf die Majestäten beider Länder, dann auf das Luftschiff und die faszinierenden Möglichkeiten, die das Reisen durch die Luft in der Zukunft eröffnen wird. Bestimmt interessieren ihn dabei in erster Linie die militärischen Verwendungen, denkt Seiler, auch wenn er es nicht ausspricht. Da ist vor allem die Aufklärung aus großer Höhe, von eminenter Bedeutung für die Flotte. Möglicherweise werden sich auch Bomben mitführen und abwerfen lassen. Groß ist die Tragkraft so eines Apparates allerdings nicht, im Fall der Viktoria Luise nur gerade fünf Tonnen, abzüglich Treibstoff, Vorräte und Besatzung. Dennoch, allein die Größe des Luftfahrzeuges, es ist gut und gern so lang wie ein Schlachtschiff, ist beeindruckend.
Voll Stolz erklärt jetzt der Kommandant, Kapitän Erich Blew, das Luftschiff. LZ 11 Victoria Luise der DELAG , der Deutschen Luftschiffahrt- AG , sei seit einem Jahr in Dienst. Es ist 148 Meter lang und hat einen Durchmesser von 14 Metern. Achtzehn Gaszellen mit insgesamt 18 700 Kubikmetern Inhalt tragen es. Drei Motoren mit zusammen 450 PS können es auf 72 Kilometer in der Stunde beschleunigen. Die Besatzung
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